Krieg der Krebse

Das kulinarische Comeback der Flusskrebse: Wie der amerikanische Killer-Krebs die heimischen Bestände aufmischte und das dezimierte Imperium jetzt zurückschlägt.
Juli 22, 2016 | Text: Bernhard Leitner | Fotos: Monika Reiter, Abbildungen aus „Die See“, Neuer Umschau Buchverlag

Der Signalkrebs wurde aus Nordamerika importiert.

Gourmet-Renaissance

Die kultigen Krebse haben im Sommer nicht nur Hochsaison, sie boomen derzeit auch wieder in der heimischen Gastronomie. Ob als Tatar, mit Pasta oder im Salat – ihr zartes, leicht süßliches Fleisch erinnert an Meerestiere wie Languste oder Hummer und macht sie für viele zu einer wiederentdeckten Delikatesse.
Heute zählen die Süßwasser-Köstlichkeiten zu absoluten Luxus-Lebensmitteln und sind vor allem in hoher Qualität nur sehr schwer zu bekommen. Zum einen liegt das natürlich an der aufwendigen Lebend-Lieferung, zum Großteil aber an der sogenannten Krebspest.
So waren noch vor knapp 200 Jahren heimische Flusskrebse kein Gourmet-Gericht, sondern ein Grundnahrungsmittel, das sich durch sämtliche Bevölkerungsschichten zog. Ob reich oder arm, sie standen auf fast jedem Speiseplan. Die hiesigen Vertreter Edel-, Dohlen- und Steinkrebs vermehrten sich wie die Karnickel und waren ein billiger und beliebter Eiweißlieferant.

Der Signalkrebs wurde aus Nordamerika importiert.

Gourmet-Renaissance

Die kultigen Krebse haben im Sommer nicht nur Hochsaison, sie boomen derzeit auch wieder in der heimischen Gastronomie. Ob als Tatar, mit Pasta oder im Salat – ihr zartes, leicht süßliches Fleisch erinnert an Meerestiere wie Languste oder Hummer und macht sie für viele zu einer wiederentdeckten Delikatesse.
Heute zählen die Süßwasser-Köstlichkeiten zu absoluten Luxus-Lebensmitteln und sind vor allem in hoher Qualität nur sehr schwer zu bekommen. Zum einen liegt das natürlich an der aufwendigen Lebend-Lieferung, zum Großteil aber an der sogenannten Krebspest.
So waren noch vor knapp 200 Jahren heimische Flusskrebse kein Gourmet-Gericht, sondern ein Grundnahrungsmittel, das sich durch sämtliche Bevölkerungsschichten zog. Ob reich oder arm, sie standen auf fast jedem Speiseplan. Die hiesigen Vertreter Edel-, Dohlen- und Steinkrebs vermehrten sich wie die Karnickel und waren ein billiger und beliebter Eiweißlieferant.
In Paris wurden im 19. Jahrhundert jährlich zwischen sieben und zehn millionen Fusskrebse verputzt.

Leicht zu fangen und zu kochen. Unzählige Krebszuchten quer durch Europa, die bis zu 750.000 Stück fassten, deckten die riesige Nachfrage am beliebten Krustentier ab. Alleine in Paris wurden im 19. Jahrhundert jährlich zwischen sieben und zehn Millionen Flusskrebse verkocht und gegessen.
In Deutschland wurde darum sogar ein Gesetz erlassen, das es untersagte, seinen Dienstboten öfter als zweimal wöchentlich Edelkrebse zu servieren. Dass dieses schier unerschöpfliche Vorkommen heimischer Flusskrebse einmal enden könnte, hätte sich damals wohl niemand gedacht.
Wie aus dem Nichts raffte eine unbekannte Krankheit um 1860 in nördlichen Teilen Italiens ganze Krebskolonien regelrecht dahin. Erklären konnte man sich das unaufhaltsame Krebssterben nicht. Wie eine Epidemie breitete sich die Tierseuche in ganz Europa aus. Und schnell kam der Begriff der Krebspest auf.
Gegen sie war und ist kein Kraut gewachsen. Und so wurden in nur wenigen Jahren sämtliche große Gewässer in Mitteleuropa förmlich leer gefegt und ein ganzer Wirtschaftszweig brach zusammen.

Vom Regen in die Traufe

Dringend musste also für Ersatz gesorgt werden. Darum wurden verzweifelt unzählige Krebsarten aus aller Herren Länder importiert, um die entstandene Lücke zu füllen. Vergeblich. Wie die heimischen Flusskrebse fielen auch die exotischen Arten unweigerlich der Krebspest zum Opfer.
Nur einem machte die Seuche scheinbar nicht zu schaffen – dem nordamerikanischen Signalkrebs. Quietschvergnügt eroberte er die europäischen Gewässer und das Problem schien gelöst. Schnell musste man feststellen, dass das Gegenteil der Fall war.
Immun ist der Signalkrebs gegen die Seuche nämlich nicht, sondern resistent. Ein kleiner, aber feiner Unterschied, den man damals nicht erkannte. Und so kam es noch viel dicker als befürchtet. Als Überträger der Krankheit hat er dem ohnehin schon knappen Bestand seiner europäischen Verwandten den Rest gegeben und die heimische Flusskrebspopulation beinahe ausgerottet.
Nach und nach breitete sich der Signalkrebs immer stärker aus und machte es den Edel-, Stein- und Dohlenkrebsen unmöglich, sich zu erholen. Auch heute noch sind diese Arten in Europa äußerst selten und kommen meist nur in Regionen vor, die für andere Krebse nur schwer zu erreichen sind. Woher diese ominöse Krankheit eigentlich stammt, ist bis heute nicht sicher geklärt.
Zoologen und Biologen vermuten, dass sie aus Nordamerika eingeschleppt wurde. Das würde auch erklären, warum der Signalkrebs sich von der Krankheit unbeeindruckt zeigt. Die Krebspest ist eine fiese Pilzerkrankung, die die hilflosen Krebse als Wirt verwendet, eine Zyste auf ihnen bildet und versucht, in die äußere Hautschicht einzudringen.
Die hochinfektiösen Sporen des Pilzes befinden sich im Wasser und suchen dort gezielt nach Krebsen. Sind die Krustentiere einmal infiziert, gibt es kein Entrinnen mehr. Nach rund einer Woche sterben sie.
Und bis heute gibt es gegen die Infektion keine Heilung. Darum wagte auch jahrelang kaum jemand, auch nur daran zu denken, eine Krebszucht zu betreiben. Zu hoch das Risiko einer Infektion, zu hoch die Kosten. Doch einer nahm das Risiko schließlich doch auf sich.

Der Krebsflüsterer

Im österreichischen Burgenland, genauer gesagt in Stegersbach, fasste sich ein gewisser Gernot Heigl ein Herz und baute die erste überdachte Flusskrebszucht Europas. Neben dem Signalkrebs züchtet er dort auch den osteuropäischen Galizier und den heimischen Edelkrebs.
Letzteren verkauft er aber nicht für kulinarische Zwecke, sondern versucht, der gefährdeten Art hierzulande wieder auf die Beine zu helfen. In seiner Zucht lässt ihn die traurige Geschichte der heimischen Flusskrebse nämlich keineswegs kalt und so versuchte er, den Signalkrebs als Speisekrebs immer stärker zu etablieren, um die heimischen Arten zu schützen: „Warum soll ich eine Krebsart verspeisen, die vom Aussterben bedroht ist? Und der Signalkrebs unterscheidet sich geschmacklich nicht wirklich vom Edelkrebs.“
Mit komplexen Methoden aus der Medizin filtert und reinigt Heigl das Wasser für seine Lieblinge. Antibiotika, Chemie oder Fertignahrung kommen beim ihm nicht ins Becken. Vor allem die Ernährung seiner Tiere ist ihm besonders wichtig: „Flusskrebse sind Allesfresser. Und was sie fressen, das schmeckt man auch.“
Der Signalkrebs unterscheidet sich geschmacklich nicht wirklich vom Edelkrebs.
Gernot Heigl über kulinarische Perspektiven
So füttert Heigl ihnen auch kein Fertigfutter, sondern ein speziell abgestimmtes Gourmetmenü. Da stehen beispielsweise Kartoffeln, Getreide in Form von Nudelteig mit Kürbiskernen oder getrocknete Erlenblätter auf dem Speiseplan. „In der freien Natur fressen die Krebse so gut wie alles.
Darum haben diese Tiere auch oft einen komischen Geschmack“, erklärt der Krebsflüsterer. Durch sein überdachtes Areal und aufwendige Technik kann Gernot Heigl das ganze Jahr über seinen gepanzerten Freunden das ideale Klima bieten und die Temperatur auch über den Winter über null Grad Celsuis halten.
„Die Thermenregion Burgenland versorgt mich hier zusätzlich mit einer exzellenten Grundwasserqualität und das ist für die Tiere enorm wichtig.“

Bock auf Krebs

Dass Gernot Heigl mittlerweile zu den führenden Krebszüchtern Europas zählt, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis jahrelanger Arbeit und noch mehr Mut und Leidenschaft. Ob er das Risiko heute noch einmal eingehen würde, wagt Heigl zu bezweifeln.
Denn rund vier Jahre lang dauert es, bis aus dem Ei der verkaufbare Flusskrebs gezüchtet wird. „Eine Zeit, in der ich kein Geld verdienen konnte. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Das größte Problem am Aufbau der Krebszucht war damals, dass es kaum Erfahrungsberichte anderer Züchter gab. Also hab ich mit Biologen geredet und mich wie ein Verrückter in die Materie eingelesen“, erklärt er.
Dass das Fleisch seiner Flusskrebse zur absoluten Crème de la Crème gehört, ist in der Gastro-Branche aber schon lange kein Geheimnis mehr. Kein Wunder also, dass Spitzenköche wie Heinz Reitbauer vom Restaurant Steirereck in Wien, Richard Rauch vom Steira Wirt in Trautmannsdorf oder Alain Weissgerber vom Taubenkobel für die Flusskrebse vom gebürtigen Niederösterreicher Schlange stehen.
Vier Jahre dauert es, bis aus dem Ei der verkaufbare Flusskrebs wird.
Gernot Heigl über den zeitlichen Aufwand seiner Krebszucht
Und was sie damit machen, ist verdammt lecker. So serviert der mit 17 Gault-Millau-Punkten dekorierte Richard Rauch in seinem Restaurant Flusskrebstatar mit Mandelölcreme und Räucherfischfond. Beim ROLLING PIN-Koch des Jahres Heinz Reitbauer werden die Flusskrebse von Gernot Heigl mit Melanzani, Hanf und Fenchelpollen gebraten.
Die Liste seiner Kunden ist lang und die Nachfrage beim 53-jährigen Krebsexperten dementsprechend groß und kaum bewältigbar: „Ich glaube, ich bin für mein ganzes Leben ausverkauft.“ Natürlich ist Heigl auch schon längst über die Landesgrenzen hinaus vielen Spitzengastronomen ein Begriff und sie versuchen, an seine gehypten Krustentiere ranzukommen.
Derzeit ist aber die Zustellung ins Ausland noch nicht so einfach: „Ich bekomme oft Anfragen von deutschen Sterneköchen. Das Problem dabei ist, dass der Versand von Lebend-Tieren für die meisten Zustelldienste nicht durchgeführt wird“, erklärt Heigl. Doch wo ein Wille ist, findet sich irgendwann auch mal ein Weg.

Der Check der Krebse

Der Signalkrebs

Nordamerikanischer Flusskrebs
Muskelprotz: Seine Scheren sind besonders stark ausgeprägt. Darum liefert der amerikanische Flusskrebs dort auch mehr Fleisch als seine Artverwandten.
Kosten: 49 Euro pro Kilogramm. Ganzjährig lieferbar. 

Der galizische Flusskrebs

Osteuropäischer Flusskrebs
Dicke Hose: Das Markenzeichen des Galiziers ist sein großzügiges Schwanzfleisch.
Kosten: 49 Euro pro Kilogramm. Ganzjährig lieferbar.

Der Edelkrebs

Heimischer Flusskrebs
Die Diva: Sein Fleisch zählt unter Köchen zum schmackhaftesten aller Flusskrebse, weil der Edelkrebs nur die reinsten Gewässer bevorzugt.
Preis verhandelbar: Verkauf nur zum Wiederbeheimaten in freier Natur. Verfügbar von Frühjahr bis Herbst.

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