Andoni Luis Aduriz: Verkanntes Genie?

Basken sind anders. Mugaritz ist anders. Und Andoni Luis Aduriz ist anders. So sehr, dass das Mugaritz die Gastronomie spaltet.
März 15, 2017 | Text: Nina Wessely | Fotos: Claudio Martinuzzi, José Luis López de Zubiría/Mugaritz

Ein Wurmloch voller Kreativität

Andoni Luis Aduriz
Das Mugaritz ist ein eigener Kosmos. Viele, die ihn sehen, ihn erleben, lässt er nicht mehr los. Andere kehren dieser Welt nach einem Besuch mit unverständlichem Kopfschütteln für immer den Rücken.
Doch die, die dieser Zauber in Bann nimmt, bleiben dieser so ganz anderen Gastronomiewelt treu. Einer Welt, die vorgibt, ein Restaurant zu sein, und doch so viel mehr ist. Mit dem Basken Andoni Luis Aduriz an vorderster Front. Ein Mann, der vorgibt, ein Koch zu sein, und doch viel mehr ein Philosoph und Vordenker unserer Zeit ist.
Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass das Mugaritz ein gastronomischer Tempel ist, in dem ausschließlich Hirnwichsen angesagt ist und seltsame Yin-Yang-Musik ertönt. Sanft gehauchte Gerichte und alles in Harmonie, hinter den sieben Bergen bei den 70 Mitarbeitern des 2-Sterne-Restaurants? Keineswegs.

Ein Wurmloch voller Kreativität

Das Mugaritz ist ein eigener Kosmos. Viele, die ihn sehen, ihn erleben, lässt er nicht mehr los. Andere kehren dieser Welt nach einem Besuch mit unverständlichem Kopfschütteln für immer den Rücken.
Doch die, die dieser Zauber in Bann nimmt, bleiben dieser so ganz anderen Gastronomiewelt treu. Einer Welt, die vorgibt, ein Restaurant zu sein, und doch so viel mehr ist. Mit dem Basken Andoni Luis Aduriz an vorderster Front. Ein Mann, der vorgibt, ein Koch zu sein, und doch viel mehr ein Philosoph und Vordenker unserer Zeit ist.

Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass das Mugaritz ein gastronomischer Tempel ist, in dem ausschließlich Hirnwichsen angesagt ist und seltsame Yin-Yang-Musik ertönt. Sanft gehauchte Gerichte und alles in Harmonie, hinter den sieben Bergen bei den 70 Mitarbeitern des 2-Sterne-Restaurants? Keineswegs.
Auch im Mugaritz kann man in der Scheiße stecken, mit 50 täglich belegten Plätzen, etwa 50 Stagers, die es jährlich auszubilden gilt, Film- und Musikprojekten, die vorangebracht werden wollen, und Consulting-Verpflichtungen von Dubai bis Südspanien. Nicht zu vergessen die vier weiteren Restaurants in San Sebastián und Bilbao, die wie das Mugaritz zur IXO Gruppe gehören und damit vom Mugaritz aus mit kreativem Input und Konzepten versorgt werden wollen.

Ja, Andoni Aduriz ist ein viel beschäftigter Mann, von dem man meinen könnte, dass es ihm schwerfällt, seine eigenen Gedanken zu hören. Und das ist es auch. Der Anspruch ist aber nun einmal der: kein Gericht ohne Geschichte. Ohne Sinn. Auch wenn ihn die meisten Gäste nicht einmal mitbekommen. Doch für Andoni und sein Team ist das essenziell. Sonst wäre es nicht das Mugaritz.

Forschung am lebenden Objekt

Das Team ist in dem Fall das des I+D – Investigacion y Desarollo, auf Deutsch ganz einfach das Entwicklungsteam, das seit Jahren hinter Andoni steht. Diesen Freitag ist der zweite Verkostungsdurchgang für die neuen Gerichte. Noch nie da gewesene Gerichte, da jede Saison die Karte komplett getauscht wird.

Entwicklungsteam

Javier Vergara aus dem Team des I+D: „Jede Saison entwickeln wir bis zu 100 Gerichte. Darunter sind vielleicht zehn Genialitäten, die wir auch auf Kongressen zeigen. Aber auch einige, die wir zu schwach finden und die es nicht auf die Karte schaffen.“ Inspiration für die Gerichte sei dabei einfach alles. „Wer kreativ ist, ist immer kreativ. Das hört nicht auf, wenn man das Restaurant verlässt“, so Vergara, der hinter den Zeichnungen für die Menüentwicklung steckt.

Kreativität, Demut und Stolz sind die Triebfedern des Mugaritz.
Andoni Luis Aduriz über das tägliche Räderwerk des Restaurants

Diese spielen eine zentrale Rolle. Jede Saison. Jade Gross, Küchenchefin und Mitglied des I+D-Teams, erklärt: „Die Zeichnungen von Javi hängen in der Entwicklungsphase hier an der Wand (Anm. neben dem Küchenblock in der Hauptküche) und jeder Stager liefert seine Interpretation davon.“ Kreativität ist hier also von jedem gefragt. Sie ist der Motor, der alles antreibt. Sind die Gerichte machbar, sprich die Zutaten in der Menge verfügbar, wie sie benötigt werden, und auch kein Selbstmord am Anrichtepass, so ist der nächste Schritt die Degustation. Hier entscheiden Andoni und sein Team, was in die Karte aufgenommen wird.

Andoni Luis Aduriz

Jedes Jahr aufs Neue. An den Iden des März – kurz bevor das Mugaritz nach seiner Schaffenspause von Ende November bis Mitte April wieder seine Holztür unter der großen Eiche im Vorgarten öffnet.

Meine Gastronomie, euer Spaß

Und zum Essen einlädt. Zum Träumen. Zum Erleben. Dazu, seinen eigenen Horizont zu erweitern. Mit Gastronomie, die mehr sein will, als bloß Essen zu verkaufen. Satt werden ist nicht das primäre Ziel im Mugaritz. Auch wenn man das zweifelsohne – und zwar sehr gut – wird.
Das Mugaritz ist eine eigene Welt, die aber keineswegs geheim ist. Jeder ist willkommen und jeder darf sich inspirieren, faszinieren lassen. Der Gast ist Teil des Ganzen. Das hat nicht so geklungen, als Andoni in einem Interview, das in Asien veröffentlicht wurde, zitiert wurde mit: „Mir sind die Gäste egal.“
Aduriz: „Das ist nicht so. Es interessiert mich sehr wohl, was die Gäste sagen und denken. Die Sache ist nur, dass ich mehr Informationen habe als sie. Ich sage nicht, dass ich mehr weiß. Wenn du mehr Infos hast, dann kannst du einfach besser beurteilen.“

Das Mugaritz

Das Urteil der Gäste ist oft spontan. Aus dem Moment heraus. Doch das ganze Team ist da, um zu erklären. „Wenn jemand nicht versteht, ist es meine Schuld. Weil ich es nicht gut genug erklärt habe. Was mich traurig macht, ist, wenn jemand nicht verstehen möchte“, so der 2-Sterne-Koch.

Die Welt des verrückten Haufens, der in Errenteria, in einem winzigen Dorf in Nordspanien, zwischen Kuhweiden und Wald an Gerichten wie „Hortensia“ gefriergetrockneten Kakaoblasen, und „Chicken Mille-Feuille“ mit geröstetem Knoblauch und saurem Grün“ tüftelt, erschließt sich einem auch nicht mit dem ersten Blick. Da muss man schon genauer hinsehen. Immer und immer wieder. Das ist das, was die Pro-Partie des Restaurants so fasziniert.
„Ich sehe jedes Mal mehr Reife im Mugaritz. Wir sind zu einem kreativen Prozess mit mehr Ruhe gelangt. Natürlich gibt es jedes Jahr Neues bei uns. Und die Gerichte sind komplett ausgetauscht. Aber es ist ein stetiger Wandel. Wir entwickeln uns stetig weiter“, so der Sternekoch, wie er zwischen Zeichnungen von Gerichten wie „Origami-Baum“ und „Arterie“ in der Küche hin und her wandelt.

Parallelwelten

Wie kann man Botritys (Anm.: ein edler Schimmelpilz, der die Trauben befällt und unter anderem zum Süßwein führt) in Gerichte integrieren? Und natürlich im Res­taurant selbst züchten? Zugekauft wird so was nicht.
Das sind Fragen, die man sich dieser Tage im Baskenland stellt. Mit Ruhe. Wie Andoni sagt. „Manchmal kämpft unsereins gegen die Welt und dabei ist es der Welt komplett egal. Wir müssen nichts beweisen. Wenn man das einmal verinnerlicht hat, geht es viel einfacher. Wir sind nicht so wichtig. Verstehe das und du entspannst dich“, so der 46-jährige Küchenphilosoph.

„Ja, sie nennen mich Philosoph“, lächelt Andoni. Nicht, dass es ihn stören würde, nur abgelutscht ist es eben schon ein bisschen. Er hat einfach eine andere Sicht auf Dinge. Und ja – eine philosophische. Ob er das nun hören möchte oder nicht.
Schließlich haben wenige andere ihre Gerichte in einem Dokumentarfilm – „Mugaritz B.S.O.“ – vertont. Und dann bei der Berlinale 2016 mit „Campo a Traves“ noch einen draufgesetzt. Dabei arbeiten sie mit „La Fura dels Baus“ zusammen. Einem international gehypten Künstlerteam. Doch hier im Mugaritz sind alle Freunde. Und freuen sich darüber, gemeinsam Ideen zu spinnen. Auch wenn sie noch so verrückt sein mögen.

Wir haben eine Linie im Mugaritz. Wenn du nach fünf Jahren erst wiederkommst, dann wird es ein radikaler Wandel für dich sein. Aber wenn du jedes Jahr kommst, dann siehst du die Linie.
Andoni Luis Aduriz über den stetigen Wandel
„Ich sage immer: ‚Such dir einen Traum und kämpfe für ihn.‘ Ich hatte das Glück, sehr behütet aufzuwachsen, und habe genau das gemacht. Einen Traum gesucht und dafür gekämpft. Es macht auch nichts, wenn sich dein Ziel im Laufe der Zeit ändert. Das ist kein Versagen. Es gibt kein Versagen“, sagt Aduriz.

Luis Audriz mit Reagenzglas und Schutzbrille

Das Ziel sei nur der Leuchtturm, der einen zum Gehen animiert. Am besten querbeet, so der Titel des Films „Campo a Traves“ übersetzt. Aduriz: „Du möchtest der beste Koch der Welt werden? Gut. Dann los. Du wirst dafür viel opfern müssen, und es passiert auch nichts, wenn sich dein Ziel ändert. Nur lass dir den Traum von niemandem wegnehmen. Wir sind alle da, um einander zu helfen, nicht um uns gegenseitig reinzulassen.“

Ständiges Weiterentwickeln, das ist es, was Andoni sich von seinen Mitstreitern und Gästen wünscht. Durch Reisen, Essen, die Zusammenarbeit mit anderen Diszi­plinen. Manchmal muss man einfach den Blickwinkel ändern.
Obwohl es natürlich schwer sei, die Aktionen mit dem Anspruch im Mugaritz richtig zu setzen, so Dani Lasa aus dem Team des I+D. Er ist seit Anfang dabei. Seit 19 Jahren. Lasa: „Wir wollen immer ehrlich sein. Und es muss zu uns passen. Das ist nicht immer einfach.“
Kreativität, Demut und Stolz sollen im Mugaritz den Ton angeben. Über dem Küchenpass steht: „Das Unmögliche trennt sich vom Möglichen durch den Willen eines jeden Einzelnen.“ Und das zeigt sich hier in allem.

Aus nichts wurde alles

Schon 1998 von Anbeginn an, mit der Idee, ein Restaurant im Nichts zu eröffnen. Heute pilgern Menschen von überallher durch die baskische Hügellandschaft, bei der gefleckten Kuh links und dann rein in den Mugaritz-Kosmos. Angekommen gibt es erst einmal eine große Portion ehrliche Gastfreundschaft, von Maître Joserra Calvo, im Zusammenspiel mit geballter Weinkompetenz von Guillermo Cruz und Silvia Guijarro serviert. Zwei der besten Sommeliers Spaniens, die auch nicht mehr wegwollen aus einer Welt, in der nicht zuerst Gerichte entwickelt werden und dann der Wein dazu gesucht wird, sondern beides gleichzeitig passiert. Einmal zieht der Wein das Thema, dann wieder das Gericht.

Aduriz: „Wir haben eine Linie im Mugaritz. Wenn du nach fünf Jahren erst wiederkommst, dann wird es ein radikaler Wandel für dich sein. Aber wenn du jedes Jahr kommst, dann siehst du die Linie. In der immer wieder ein anderer Teil ein bisschen stärker ausgeprägt ist.“ Seine Parabel vom Basilikum veranschaulicht das Ganze: „Sagen wir, wir haben sieben Basilikumarten im Garten. Eine schmeckt ein bisschen zitroniger, die andere minzig, die nächste ist Basilikum pur. Jedes Jahr wächst eine Art stärker als die andere. Aber sie sind immer noch alle in unserem Garten.“

Du möchtest der beste Koch der Welt werden? Gut. Dann los. Du wirst dafür viel opfern müssen, und es passiert auch nichts, wenn sich dein Ziel ändert. Nur lass dir den Traum von niemandem wegnehmen.
Andoni Luis Aduriz über den Leuchtturm, der uns zum Gehen bringt: Das Ziel.
Sieben Basilikums also, auf denen die Philosophie fußt. Eine davon ist zweifelsohne die Textur der Gerichte. „Wir sind verrückt nach Textur. Nach Geschichten. Nach Erinnerung. Aber trotzdem denkt keiner über das Mugaritz: ‚Heuer ist das Jahr der Erinnerung. Nächstes Jahr wer weiß was …‘ oder?“ Jedes Jahr ist ein Jahr der Weiterentwicklung. Weiter im interdisziplinären Austausch. Weiter querbeet. Weiter die Grenzen der Krea­tivität austesten. Auch Kollege Albert Adrià sagt: „In der jetzigen Welt der Gastronomie sehe ich nur Andoni, der die Gastronomie in puncto Kreativität voranbringt.“ Nicht sanftmütig, aber philosophisch – und mit Mut.

Das macht Mugaritz zu einem Lieblingsort für Querdenker und Verschiedenesser sowie zum Restaurant, das sich am längsten in den Top 10 der Liste der 50 Best Restaurants hält.
Auch wenn sie auf Tripadvisor nur das zweitbeste Lokal in ihrem 39.000-Seelen-Dorf sind, wie Andoni immer wieder gerne erzählt.
www.mugaritz.es

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