Fake Food: Ist das Kunst oder kann man das essen?

Betrug oder kein Betrug – das ist hier die Frage: Wann sind nachgemachte Lebens­mittel irgendwie okay, wann ist es ein minderes Imitat und was muss man seinen Gästen wirklich verraten?
November 24, 2017 | Text: Kathrin Löffel | Fotos: Claudio Martinuzzi

Bei dem Wort „nachgemacht“ oder schlimmer noch „Imitat“ denkt vermutlich jeder sofort an die billige Version der beliebten Louis-Viutton-Taschen. Nicht zu verübeln also, wenn uninformierte Verbraucher bei nachgemachtem Käse, Kaviar-Imitaten oder Formschinken auch gleich an Betrug denken und anfangen, laut um Gerechtigkeit, strengere Gesetze oder härtere Strafen zu schreien.

Meerestiere sind beliebte Produkte für Nachmacher: Mit gehäckselten Fischabschnitten und ein bisschen Farbe lassen sich Krebsfleisch oder Hummer herstellen. Auch Lachs wird durch preisgünstigere Produkte und Lebensmittelfarbe gerne imitiert.

Jeder Gastronom wird aber schon mindestens einmal verzweifelt über seiner Budgetplanung gegrübelt oder sich über die Verschwendung von guten Abschnittsteilen vom Fleisch geärgert haben. Gleich zwei Argumente für originell durchdachte – aber eben keine originalen – Lebensmittel.

Ein Formschinken ist eben genau das: ein aus „zusammengeklebten“ Abschnitten geformtes Stück Fleisch. Das Fleisch ist ebenso wertvoll – besonders in Anbetracht der langen Produktionskette – und nicht, wie oft behauptet, Abfall. Diese Behauptung alleine ist unethischer als jedes Stück Formfleisch.

Die Verwendung von Formfleisch ist eine ethische Entscheidung gegen Verschwendung.
Thomas Vilgis über Nachhaltigkeit

„Zusammengeklebt“ sei hier zusätzlich in Anführungsstrichen hervorgehoben, weil es sich bei dem vermeintlichen Kleber um ein Enzym handelt. Die Transglutaminase ist kein Bösewicht, sondern ein isoliertes Protein, das zwei Aminosäuren im Fleisch miteinander verbindet. Weder eklig noch unethisch oder sogar gefährlich.

Bei dem Wort „nachgemacht“ oder schlimmer noch „Imitat“ denkt vermutlich jeder sofort an die billige Version der beliebten Louis-Viutton-Taschen. Nicht zu verübeln also, wenn uninformierte Verbraucher bei nachgemachtem Käse, Kaviar-Imitaten oder Formschinken auch gleich an Betrug denken und anfangen, laut um Gerechtigkeit, strengere Gesetze oder härtere Strafen zu schreien.

Meerestiere sind beliebte Produkte für Nachmacher: Mit gehäckselten Fischabschnitten und ein bisschen Farbe lassen sich Krebsfleisch oder Hummer herstellen. Auch Lachs wird durch preisgünstigere Produkte und Lebensmittelfarbe gerne imitiert.

Jeder Gastronom wird aber schon mindestens einmal verzweifelt über seiner Budgetplanung gegrübelt oder sich über die Verschwendung von guten Abschnittsteilen vom Fleisch geärgert haben. Gleich zwei Argumente für originell durchdachte – aber eben keine originalen – Lebensmittel.

Ein Formschinken ist eben genau das: ein aus „zusammengeklebten“ Abschnitten geformtes Stück Fleisch. Das Fleisch ist ebenso wertvoll – besonders in Anbetracht der langen Produktionskette – und nicht, wie oft behauptet, Abfall. Diese Behauptung alleine ist unethischer als jedes Stück Formfleisch.

Die Verwendung von Formfleisch ist eine ethische Entscheidung gegen Verschwendung.
Thomas Vilgis über Nachhaltigkeit

„Zusammengeklebt“ sei hier zusätzlich in Anführungsstrichen hervorgehoben, weil es sich bei dem vermeintlichen Kleber um ein Enzym handelt. Die Transglutaminase ist kein Bösewicht, sondern ein isoliertes Protein, das zwei Aminosäuren im Fleisch miteinander verbindet. Weder eklig noch unethisch oder sogar gefährlich.

Prof. Dr. Thomas Vilgis, Genussmensch und Lebensmitteltechnologe am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz, ärgert sich oft über grundlagenlose Diskussionen, die im Bereich der Ernährung immer wieder heraufbeschworen und aufgebauscht werden: „Ich habe selbst Transglutaminase zu Hause, um Fleischabschnitte in Form zu bringen. Für mich wäre es undenkbar – besonders in dieser Wegwerfgesellschaft –, gute Abschnitte zu entsorgen. Formfleisch ist der ethische Umgang mit Abschnitten.“

Weiter hebt Vilgis hervor: „Außerdem wird es auch im Körper für Haut, Nägel und Haare gebraucht. Bei Gastronomen werden aus Abschnitten oft Bolognese oder Burgerfleisch gemacht, aber das kann es ja auch nicht jeden Tag geben. Also warum nicht? Es ist nur eine Frage der Betrachtung. Bei dem Beispiel Aromen-Kennzeichnung ist die unklare Gesetzgebung der Grund für Diskussionen, die für mich nicht nachvollziehbar sind.“

Für Verbraucher sind die Unterschiede zwischen naturidentisch, natürlich und künstlich schwer zu verstehen. Vilgis: „Ein im Labor nachgemachtes Aroma wie Vanillin entspricht dem natürlichen Vanillin zu 100 Prozent. Es ist aber eben nicht natürlich, sondern naturidentisch. Bei dem Wort bekommen Verbraucher dann Angst. Es wird aber im Körper auf die gleiche Weise abgebaut wie natürliches. Was hier selbstredend fehlt, sind alle anderen Stoffe, die in einer Vanilleschote enthalten sind und ihr das bombastische ganzheitliche Aroma verleihen.“

Es stellt sich also die Frage, welches Aroma der Gastronom auf dem Teller haben will – nicht etwa, ob es gesundheitlich bedenklich ist. Prof. Dr. Herbert J. Buckenhüskes, Präsident der Gesellschaft Deutscher Lebensmitteltechnologen, weiß: „Alles, was auf den europäischen Markt kommt, ist grundsätzlich nicht gesundheitsschädlich.“

Nicht nur Muskelfleischabschnitte vom Schwein werden in zusammengepresster Form auf den Markt gebracht. Auch Hähnchenabschnitte werden in handlicher Größe als Chicken Nuggets vertrieben.

Aber wieso regten sich Verbraucher dann im Sommer 2009 so auf, als das Wort Analogkäse auftauchte? Weil der Industrie und im weiteren Sinne auch den Gastronomen grundsätzlich Geldgeilheit unterstellt wird. Betrug! Wer ein Käseimitat produziert und nutzt, will nur Geld sparen auf dem Rücken – und den Pizzen – der Verbraucher.

Dabei gibt es auch andere Gründe für Analogkäse: Die Schmelzfähigkeit ist eine andere, auch die Temperatur, bei der der Käse verbrennt, ist höher. Außerdem trennen sich Fett und Eiweiß bei hoher Temperatur nicht. Positiv für die beliebte Pizza.

Vilgis: „Ich würde nie einen genialen Gruyère auf eine Pizza legen – der verbrennt sofort. Warum also nicht ein Produkt verwenden, das viel bessere Eigenschaften als Pizzabelag hat als vermeintlich richtiger Käse?“

Wenn das Ziel also ein perfekt geschmolzenes Ergebnis ist, ist Analogkäse durchaus sinnvoll. Und die Verkaufszahlen für Käsealternativen steigen wieder. Der Grund: Veganer stehen drauf! Der Zugang ist also ein anderer. Man ändert die Perspektive und – zack – ist das Problem (wenn denn die Beschriftung stimmt) verschwunden!

Es soll ja bloß keiner aus Versehen vegane Produkte essen, der lieber auf dem Rücken der Milchkuh seinen Genuss auslebt. Ja, dieses Spiel der Vorwürfe kann man nämlich auch andersherum führen. Andere Gründe für die Entwicklung neuer Lebensmittel basierend auf Originalen hat Buckenhüskes zusammengefasst.

Die unterstellte Geldgeilheit der Industrie ist nämlich sehr eindimensional. Grund Nummer eins: Wenn in Krisenzeiten Lebensmittel knapp werden, können die Mangelsituationen mit Ersatzprodukten substituiert werden. Beispiel: Kaffee aus Getreide oder auf lange Sicht Kaviar aus Sojaprotein oder anderen Fischen.

Grund Nummer zwei: Preisgünstiger produzieren und auch verkaufen ist tatsächlich ein Grund. So können erschwingliche Produkte für die Masse produziert werden, wie beispielsweise Wasabi aus inländischem und grün gefärbtem Meerrettich. Denn das Original gibt es gar nicht in der Masse, wie es weltweit gefragt ist.

Grund Nummer drei: Kalorienreduzierte Imitate bedienen ebenfalls einen eigenständigen Markt.

Surimi ist definiert als zerkleinertes und mit Wasser gewaschenes Fischmuskelfleisch ohne Faserstruktur. Daraus lässt sich alles formen – von der Garnele bis zum Hummerschwanz. Meerestiere sind allerdings definitiv nicht enthalten.

Grund Nummer vier: Spezielle Verbraucherwünsche können mit Imitaten oder alternativen Produkten befriedigt werden. Klassisch dabei Milchprodukte aus Pflanzen oder Nüssen, Tofu-Schnitzel oder eben Käsealternativen.

Grund Nummer fünf: Alternative Rohstoffe müssen auf lange Sicht in die Lebensmittelproduktion mit einbezogen werden. Die steigende Weltbevölkerung will schließlich ernährt werden.
Egal, welchen Grund man aber als seinen wählt, es stellt sich wieder die Frage der Ehrlichkeit. Was darf, kann, muss der Gast wissen, was nicht?

Geheimniskrämerei

Letztendlich ist es die Entscheidung des Gastronomen, wenn der Pflicht der Kennzeichnung, wie es aus dem Lebensmittelrecht und der Lebensmittelinformationsverordnung hervorgeht, nachgekommen wird. Das bedeutet: Analogkäse darf nicht Käse genannt werden, Formfleisch muss Formfleisch genannt werden und alle Allergene müssen auch draufstehen.

Wenn ein Verbraucher nachfragt, muss er auch eine ehrliche Antwort bekommen.
Herbert Buckenhüskes über den gläsernen Lebensmittelmarkt

Vielleicht sollte man also lieber mit veganem Käse werben, mit nachhaltigem Umgang mit Fleisch und Fisch oder Kaffeesurrogaten ohne Koffein, wenn man aus welchem Grund auch immer nicht das originale Produkt kauft. Grundsätzlich sind sich Vilgis und Buckenhüskes einig: „Wenn ein Verbraucher fragt, muss er auch eine ehrliche Antwort bekommen.“

Schließlich ist die Verwendung oft gar nicht das Problem, sondern die Unterstellung, dass getäuscht, betrogen und belogen wird. Vilgis: „Früher hat auch die Oma Kartoffelstärke zum Verändern der Konsistenz genutzt. Ist das auch schon Betrug? Jeder Gastronom sollte sich die Frage stellen, was er wirklich braucht, und dann die Technik oder Produkte bewusst einsetzen. Denn schließlich muss man vorsichtig mit dem Vertrauen der Gäste umgehen.“

Das kann man ganz einfach unterstützen, wenn man ehrlich ist, sich Zeit nimmt und bereit dazu ist, Dinge zu erklären. Wie sagt man so schön im Volksmund: Nur sprechenden Menschen – und aufgeklärten Verbrauchern – kann geholfen werden.

Früher verschmäht, heute beliebt: Vor neun Jahren wurde Analog- käse – durch einen Bericht der Verbraucherzentrale Hamburg – stark kritisiert. Heute ist er bei Veganern durchaus sehr beliebt. So kann sich die Wahrnehmung in kürzester Zeit ändern.

Facts über Fakes

Fact 1

Das Problem mit nachgemachten Lebensmitteln liegt nicht im Lebensmittel selbst, sondern meist in der Kommunikation. Wer nicht sagt, was drinsteckt, betrügt.

Fact 2

Ein Surrogat ist ein Ersatz oder Ersatzstoff, der dem Original gegenüber nicht vollwertig ist. Ein bekanntes Produkt ist Ersatzkaffee, der aus der Kaffeenot heraus entstanden ist, aber heute einen eigenen Stellenwert und seine Berechtigung am Markt mit eigener Zielgruppe gefunden hat.

Fact 3

Plagiate sind tatsächlich immer Betrug. Denn das Wort ist definiert als geistiger Diebstahl, der beispielsweise bei falschen Bezeichnungen der geschützten geografischen Herkunftsangaben stattfindet.

Fact 4

Es gibt nachahmende Lebensmittel, die ihren eigenen Wert und ihre Berechtigung haben: Margarine (übrigens auf Napoleons Wunsch hin entwickelt) ist ein Butter-Ersatzprodukt genauso wie Gerstenkaffee. Heute haben beide Produkte ihre Abnehmer und ihren Platz im Regal als eigenständiges Produkt gefunden.

Fact 5

Das Luxusprodukt Kaviar ist ein Erzeugnis aus dem Stör. Weil die Tierart aber stark bedroht ist, wird auch der gefärbte und behandelte Rogen von anderen Tierarten wie dem Seehasen oder der Forelle als Kaviar verkauft. Aber nicht nur die Mangelsituation ist ein Grund: Auch der Verkaufspreis ist geringer, womit die Zielgruppe wächst.

Fact 6

Was ist ein Imitat? Imitieren ist das möglichst genaue Nachmachen von Produkten. Meistens handelt es sich um ein höherwertiges Lebensmittel, die Vorlage für Imitate sind wie Kaviar, Käse oder Surimi-Garnelen. Je teurer das Produkt, umso mehr Nachahmer gibt es.

Fact 7

Der Produktname Milch ist gesetzlich festgeschrieben: Milch ist das durch regelmäßiges, vollständiges Ausmelken des Euters gewonnene und gründlich durchmischte Gemelk von einer oder mehreren Kühen aus einer oder mehreren Melkzeiten.

Fact 8

Surimi ist definiert als zerkleinertes und mit Wasser gewaschenes Fischmuskelfleisch ohne Faserstruktur. Daraus lässt sich alles formen – von der Garnele bis zum Hummerschwanz. Meerestiere sind allerdings definitiv nicht enthalten.

Fact 9

Als analog werden Produkte bezeichnet, die so ähnlich sind wie die Originalprodukte. Analogkäse weist zwar einige ähnliche Eigenschaften auf, entspricht aber meist von den Inhaltsstoffen nicht dem Original. Daher ist Analogkäse eigentlich genau genommen ein Imitat.

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