Knochenjob

Merke: Wer die Basis nicht ehrt, ist das Kritikerlob nicht wert. Warum selbst gemachte Brühe durch keine Instant-Plörre der Welt zu ersetzen ist und was ein gelungenes Fond-Investment auszeichnet.
November 13, 2015

Auguste Escoffier mag mit der „Pfirsich Melba“ das berühmteste Dessert der Welt erfunden haben, seinen Ruf als Erneuerer der Haute Cuisine verdankt der Franzose aber vor allem der von ihm initiierten Revolution der Anfang des 20. Jahrhunderts noch vorherrschenden Idee einer Sauce. Bis zur Veröffentlichung von Escoffiers „Guide Culinaire“ 1903 brodelte hauptsächlich pampige, vor Fett triefende und im schlimmsten Fall tagelang totgekochte Materie in den Küchen des Landes vor sich hin. Der große Modernisierer aber räumte dem Saucier in der Organisation einer Profi-Küche den zweiten Rang gleich hinter dem Küchenchef ein und machte damit unmissverständlich klar: Die Herstellung von Fond und Jus – und den darauf basierenden Saucen – hat in der modernen Haute Cuisine oberste Priorität zu genießen. Voilà!

Saucen müssen wie eine Brücke konstruiert sein. Am Anfang stehen die Pfeiler. Bei einer Sauce ist das der Fond, oder die Grundsauce.
Eckart Witzigmann in seinem Vorwort zu „Saucen nach Escoffier“

Die gute Nachricht: Der Mann hat…

Auguste Escoffier mag mit der „Pfirsich Melba“ das berühmteste Dessert der Welt erfunden haben, seinen Ruf als Erneuerer der Haute Cuisine verdankt der Franzose aber vor allem der von ihm initiierten Revolution der Anfang des 20. Jahrhunderts noch vorherrschenden Idee einer Sauce. Bis zur Veröffentlichung von Escoffiers „Guide Culinaire“ 1903 brodelte hauptsächlich pampige, vor Fett triefende und im schlimmsten Fall tagelang totgekochte Materie in den Küchen des Landes vor sich hin. Der große Modernisierer aber räumte dem Saucier in der Organisation einer Profi-Küche den zweiten Rang gleich hinter dem Küchenchef ein und machte damit unmissverständlich klar: Die Herstellung von Fond und Jus – und den darauf basierenden Saucen – hat in der modernen Haute Cuisine oberste Priorität zu genießen. Voilà!

Saucen müssen wie eine Brücke konstruiert sein. Am Anfang stehen die Pfeiler. Bei einer Sauce ist das der Fond, oder die Grundsauce.
Eckart Witzigmann in seinem Vorwort zu „Saucen nach Escoffier“

Die gute Nachricht: Der Mann hat auch mehr als 100 Jahre nach seinem Opus magnum so was von recht. Die schlechte: Nachkommende Generationen schenken den weisen Ratschlägen der Altvorderen im Regelfall weniger Beachtung, als für sie und ihre Gäste gut ist. Denn das finessenreiche, individuelle Geschmacksbild einer klassischen, zumeist auf hellem oder dunklem Fond basierenden Sauce, wird heute immer noch verbreitet dem industrialisierten Normgeschmack geopfert, der Instantprodukte auszeichnet. Eine böse Ironie des Schicksals übrigens, dass ausgerechnet einer der bekanntesten Hersteller solch eben angesprochener Fertigfonds- und Saucen den Namen Escoffier trägt.
Es darf angenommen werden, dass der Großmeister sich ob solcher Entwicklungen erzürnt im Grabe
dreht – das aber ist wohl ebenso wenig zu ändern wie die Tatsache, dass ein Koch, der Konzentration, Geduld und Karkassen scheut, auch nie mehr sein wird als ein maximal mittelmäßiger Essenszubereiter. Wer nach Höherem strebt, sollte sich also möglichst früh und intensiv mit dem Einmaleins der Brühen auseinandersetzen.
Erste und vielleicht wichtigste Grundregel: Terminologie verinnerlichen! Denn Fond, Glace, Demi-Glace, Velouté und Jus sind zwar allesamt französische Fachausdrücke, aber immer noch unterschliedliche Produkte. Für alle, die ihre Lehre verschlafen haben oder sich Fachausdrücken verweigern, zur Erinnerung: Ein Fond ist eine Brühe (und bleibt es auch, aller avantgardistischen Revolution zum Trotz), Glace, Demi-Glace, Velouté oder Jus sind auf Basis des jeweiligen Fonds aufgebaute Saucen, die unterschiedlich stark reduziert oder aus dem Bratensatz gezogen wurden.
Völlig unabhängig davon, ob nun Wild-, Geflügel-, Fisch- oder Kalbsfond auf dem Plan steht, verhält es sich bei der Zubereitung von Fonds ein bisschen wie mit der Liebe. Um ein altes Sprichwort zu bemühen: Überstürzte Handlungen bringen keine schönen Kinder hervor. Monsieur Escoffier empfiehlt, sich für die Zubereitung seiner Variante eines braunen Kalbsfonds mindestens vier Stunden Zeit zu nehmen. Alleine für das Rösten der Kalbsknochen und Kalbsfüße im Ofen veranschlagt er knapp drei Stunden – der Zeitaufwand ist hoch, die Qualität des Endproduktes dafür ebenso.
Wo wir gerade von Knochen sprechen: Ob diese nun Fixbestandteil von Fleischfonds sind oder nicht, darüber scheiden sich auch in der Spitzengastronomie immer wieder mal die Geister. Der amerikanische Spitzenkoch Thomas Keller etwa verzichtet in seiner mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten French Laundry darauf, und auch der Piemonteser Spitzenkoch Cesare Giaccone findet Knochen als Aromengeber überflüssig. Zur Beruhigung: Nicht alles, was Amerikaner oder italienische Michelin-Stern-nein-danke-Revoluzzer so tun, ist nachahmungswürdig. ROLLING PIN findet jedenfalls: Fondszubereitung ist ein Knochenjob. Warum man den nicht scheuen sollte und was es über das unverzichtbare Fondquartett bestehend aus Wild, Geflügel, Kalb und Fisch zu wissen gibt, erfahrt ihr auf den kommenden Seiten.

Kalb

Kalb
Im Spitzenküchen-Universum ist er der unangefochtene Star: Kalbsfond. Er bildet die unverzichtbare, samtig-kräftige Grundlage für Suppen sowie helle und dunkle Grundsaucen. Für die Zubereitung der weißen Variante, in der Knochen, Kalbsfüße und Kalbsschwanz lediglich blanchiert und nicht, wie bei der dunklen Variante, geröstet werden, sollte man mindestens fünf Stunden einrechnen. Kalbsfond bildet die Basis für Kalbsjus,
sirupartige Kalbsglace sowie die etwas weniger stark reduzierte und außerdem gebundene Demi-Glace. Letztere ist in ihrer dunklen Form Ausgangsprodukt für eine Vielzahl von Saucenklassikern, darunter Sauce bordelaise, Jägersauce, Madeirasauce sowie Port- und Rotweinsaucen.

Geflügel

Geflügel
Ähnlich wie Kalbsfond kann auch Geflügelfond als helle und dunkle Variante zubereitet werden, die helle Variante ist aber zweifelsohne die am weitesten verbreitete. Ein Suppenhuhn und Geflügelkarkassen bilden gemeinsam mit weißem Gemüse – also Lauch, Sellerie und Zwiebel – klassischerweise die Basis eines Geflügelfonds. In puncto Zubereitungszeit bringt es Geflügelfond auf maximal drei Stunden – möglicherweise mit ein Grund, warum er Ausgangsbasis einer ganzen Reihe von Saucen ist. Ableitungen der Sauce Suprême, einer Geflügelsahnesauce aus Geflügel-Samtsauce und -Fond, sind unter anderem Kapernsauce, Sauce Chantilly, die mit einem Kräuterauszug verfeinerte Sauce Chivry und Estragonsauce.

Wild

Wild
Dunkler Wildfond wird in der Regel aus Knochen und Parüren von Haarwild – also Reh, Wildschwein, Hase oder Hirsch –, Kalbsfüßen, Wurzelgemüse (nach Escoffiers Empfehlung exklusive Lauch, da dieser beim Rösten schnell bitter wird), Lorbeer, Wacholderbeeren, Pfefferkörnern und Kräutern hergestellt. Ähnlich wie bei Kalbsfond sollte man für die Zubereitung etwa fünf Stunden einplanen. Wildfond bildet unter anderem die Basis für unterschiedlichste Eintopfgerichte, Wild-Pfeffersaucen, Wacholdersauce sowie Wildsuppen, Reh-Consommé oder Hasenpunsch. Auch Wildgeflügel wie Fasan oder Rebhuhn eignet sich für die Herstellung von Fond, der wiederum als Ausgangsbasis für Veloutés und Jus dient.

Fisch

Fisch
Wie bei Geflügel ist auch bei Fischfond die weiße Variante weiter verbreitet als die rote, in der nebst (frischen!) Fischkarkassen von Weißfischen und weißem Gemüse – verbreitet auch Champignons – Rotwein anstelle von Weißwein landet. In Krustentierfond dürfen eigentlich nur Hummer- oder Flusskrebskarkassen, im Notfall können auch Kaisergranaten verwendet werden. Fischfond wird kalt angesetzt und darf nicht kochen, sondern muss am Siedepunkt mindestens 40 Minuten ziehen. Heller Fischfond dient als Basis für klassische Weißweinsaucen, Fischragouts und Risottos, Krustentierfonds unter anderem für Hummer- und Austernsaucen. Nicht zu verwenden sind Gräten und Köpfe von Fettfischen wie Lachs, da ihr Fleisch den Fond trübt.

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