Wolfgang Müller: Warum ein Schwein aus 73 Edelteilen besteht

Vom Zahnfleisch über die Speiseröhre bis zum Enddarm – Wolfgang Müller beherrscht die krassesten Cuts und zeigt, warum das ganze Schwein ein einziges Edelteil ist.
November 22, 2018 | Fotos: Florian Bolk, Matthaes Verlag, Gerhard Eckardt

Schweinskarree, Schweinsbraten, Schnitzel vom Schwein: Wer kennt und liebt sie nicht, die himmlisch-schweren Gerichte. die aus dem beliebten Borstentier gezaubert werden? Schweinefleisch gehört in unseren Breiten zum beliebtesten Fleisch überhaupt. Allein in Deutschland werden jährlich knapp 36 Kilogramm pro Kopf verzehrt. Dabei wissen die meisten Menschen viel zu wenig darüber, was das Schwein – bis auf die sogenannten Edelteile – noch so alles hergibt. „Edelteile“, ein Wort, das einem ganz besonders gegen den Strich geht: Wolfgang Müller, Metzger und Spitzenkoch, der unter anderem im Schlosshotel Bühlerhöhe zwei Sterne erkochte. „Diese Philosophie, dass es Edelstücke gibt, ist doch kompletter Schwachsinn!“, weiß Müller und ist überzeugt: „Das ganze Schwein ist ein Edelstück!“ Wie kein Zweiter hat sich der passionierte Metzger und Sternekoch mit Schweinen und ihrer Verwertung beschäftigt. In seinem unfassbar inspirierenden und zugleich extrem lehrreichen Buch „Schwein: von Kopf bis Fuß“ demonstriert Müller, dass es nicht weniger als 73 Edelstücke gibt, aus denen ein Schwein besteht. Zahnfleisch, Blase, Enddarm, Kinn, Nüsschen vom Kopf – Müller beherrscht die exotischsten Cuts und macht aus den vermeintlichen Restteilen die wohl faszinierendsten Protagonisten von Fine-Dining-Gerichten.
Diese Philosophie, dass es Edelstücke gibt, ist doch kompletter Schwachsinn!
Wolfgang Müller über sein Verständnis als Metzger

Auf den CHEFDAYS Germany am 30. September und 1. Oktober in Berlin kannst du Wolfgang Müller LIVE erleben.

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Schweinskarree, Schweinsbraten, Schnitzel vom Schwein: Wer kennt und liebt sie nicht, die himmlisch-schweren Gerichte, die aus dem beliebten Borstentier gezaubert werden? Schweinefleisch gehört in unseren Breiten zum beliebtesten Fleisch überhaupt. Allein in Deutschland werden jährlich knapp 36 Kilogramm pro Kopf verzehrt. Dabei wissen die meisten Menschen viel zu wenig darüber, was das Schwein – bis auf die sogenannten Edelteile – noch so alles hergibt. „Edelteile“, ein Wort, das einem ganz besonders gegen den Strich geht: Wolfgang Müller, Metzger und Spitzenkoch, der unter anderem im Schlosshotel Bühlerhöhe zwei Sterne erkochte. „Diese Philosophie, dass es Edelstücke gibt, ist doch kompletter Schwachsinn!“, weiß Müller und ist überzeugt: „Das ganze Schwein ist ein Edelstück!“ Wie kein Zweiter hat sich der passionierte Metzger und Sternekoch mit Schweinen und ihrer Verwertung beschäftigt. In seinem unfassbar inspirierenden und zugleich extrem lehrreichen Buch „Schwein: von Kopf bis Fuß“ demonstriert Müller, dass es nicht weniger als 73 Edelstücke gibt, aus denen ein Schwein besteht. Zahnfleisch, Blase, Enddarm, Kinn, Nüsschen vom Kopf – Müller beherrscht die exotischsten Cuts und macht aus den vermeintlichen Restteilen die wohl faszinierendsten Protagonisten von Fine-Dining-Gerichten.
Diese Philosophie, dass es Edelstücke gibt, ist doch kompletter Schwachsinn!
Wolfgang Müller über sein Verständnis als Metzger

Augen

„Mit den Augen ist es halt so eine Sache“, sagt der Schweine-Magier und spielt damit auf die kulinarische Engstirnigkeit an, die in weiten Teilen Europas herrscht. Bis heute ist es schwierig, Gästen Schweineaugen schmackhaft zu machen. „Dabei schmecken sie überhaupt nicht knorpelig, sondern wie gut gekochtes Schweinefleisch.“ Wolfgang Müller backt die Schweineaugen aus. Das Wichtigste steht dabei wie so oft am Anfang: Der Muskel, der das Auge mit dem Rest des Kopfes verbindet, muss so knapp wie möglich weggeschnitten werden, da er beim Kochen nicht weich wird. Die Schweineaugen müssen gut gewaschen und anschließend ganze 40 Minuten in Salzwasser gar gekocht werden. Daraufhin kann man mithilfe eines kleinen Messers die Linse entfernen, indem an der Oberfläche des Auges nur ein kleiner Schnitt gesetzt wird. Die Linse muss dann vorsichtig herausgeschoben werden – denn Vorsicht: Beim Kochen wird sie hart wie Glas!
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Blase statt Plastik

Die Schweineblase ist ein Paradebeispiel dafür, wie nachhaltig das Nose-to-tail-Prinzip angewendet werden kann. Sie befindet sich im hinteren Bauchbereich des Schweins. „Im Prinzip ist die Schweineblase wie eine Plastikfolie, die 200 Grad aushalten kann, nur mit dem Vorteil, dass von allem, was du in die Blase so hineinschiebst, die Aromen erhalten bleiben. Eigentlich ist es nichts anderes als eine uralte Sous-vide-Methode.“ In Frankreich wird oft Hühnerfleisch in der Blase gemacht. Müller hingegen füllt die getrocknete Schweineblase, die er in 60 bis 70 Grad heißes Wasser einlegt und etwa 20 Minuten darin ziehen lässt, mit Schmorente und ein wenig Schweinebauch, ohne Schwarte und Knochen. Doch bevor die Blase gefüllt wird, wird sie nach 20 Minuten aus dem Wasser genommen und nochmals mit heißem Wasser nachgespült, damit sie geschmeidig und dehnbar wird. Erst, wenn sie von innen und außen gut trocken getupft wurde, kann sie gefüllt werden. Ganze zweieinhalb Stunden wird sie dann im Ofen gegart, bevor Müller sie dann noch zehn Minuten mit Kirschholz räuchert. Dazu passt hervorragend Stangensellerie, wobei sich die wahre Sensation offenbart, wenn die Blase in Tranchen geschnitten wird: Denn die Blase hält jede Nuance des Fleischgeschmacks fest.

Wundermittel Bauchspeicheldrüse

Von Hühnersuppe hält Wolfgang Müller nicht besonders viel. Er bevorzugt Bauchspeicheldrüse oder Knochen. „In Asien wird aus der Bauchspeicheldrüse sogar eine Gesundheitssuppe gemacht“, so Müller. „Sie hilft vor allem, wenn du erkältet bist oder dir Energie fehlt.“ Die Bauchspeicheldrüse liegt in der hinteren Bauchhälfte in der Nähe des Hinterbeins des Schweins. Sie ist nicht immer einfach zu bekommen – „vor allem“, sagt Müller, „weil wir hier in Deutschland durch die EU zum Teil ganz komische Auflagen haben“. Die Bauchspeicheldrüse schmeckt ähnlich wie Kalbsbries und hat eine leicht nussige Note. Die Gesundheitssuppe, auf die Müller schwört, besteht aus zwei Suppenansätzen. Während der erste Suppenansatz unter anderem aus Suppenhuhn, Karotten und Knollensellerie besteht, wird für den zweiten Suppenansatz neben drei Bauchspeicheldrüsen auch Schweinebauch und Rippchen blanchiert. Die Bauchspeicheldrüsen mitsamt den anderen Teilen sollte man nach dem Aufkochen noch etwa zwei bis drei Stunden ziehen lassen. Abgesehen von der Wunderwirkung der Bauchspeicheldrüse schwärmt Müller auch von den Knochen: „Anstatt bei einer Verkühlung eine Hühnersuppe zu essen, solltest du einfach einmal Schweinchen auskochen. Daraus kannst du eine geile Brühe machen, die dich nicht nur vom Magen her wärmt, sondern auch deine gesamte Zirkulation abkühlt. Damit geht’s deinem Körper besser.“
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Die besten Chips deines Lebens

Auch bei einem so sperrigen Einzelteil wie dem Schweinenetz kennt Müllers Kreativität keine Grenzen. Denn das wird bei ihm beispielsweise zu Chips verarbeitet. Das Schweinenetz ist ein halb durchsichtiges, netzartiges Fettgewebe aus dem Bauchfell. Das Netz kann dafür in beliebige Formen geschnitten und in kochendem Salzwasser blanchiert werden. Nachdem es direkt in Eiswasser abgeschreckt wurde, kann es im Prinzip beliebig gewürzt werden – zum Beispiel mit Pfeffer, Zucker, Majoran oder Thymian. Müller lässt das gewürzte Schweinenetz im Dörrautomat bei 70 Grad in etwa vier Stunden trocknen. Außerdem eignet sich das noch ungetrocknete Netz auch hervorragend dafür, Fleischbällchen zu umwickeln. Diese können dann in Butterschmalz angebraten werden, wobei das Fettnetz als geschmacksverstärkende Kruste dem Ganzen eine einmalige Crunchiness gibt.

Ein Kopf, zwölf Cuts

Müller beherrscht ganze zwölf Cuts allein für den Schweinekopf. Da wundert es nicht, dass er auch große Stücke auf das Zahnfleisch hält. „Im Prinzip ist ja Zahnfleisch auch so ein Gericht, das aus der Rinderküche kommt. Es gibt ja zum Beispiel Ochsenmaul-Salat, bei dem das Zahnfleisch verwendet wird. Das Schweine-Zahnfleisch kannst du zum Beispiel kochen. Es ist sehr geleehaltig, weil nun einmal viel Gelatine drin ist. Wenn man es nach dem Kochen hauchdünn schneidet, kann man tolle Salate damit machen. Wenn du es aber frittiert, kannst du genauso tolle Snacks daraus machen.“ Das „Zahnfleisch“ mag abschreckend auf einige Leute wirken, doch genau das bringt Müller auf einen wichtigen Punkt: „Wenn Leute all diese Einzelteile essen würden, ohne zu wissen, was es ist, dann würden sie bei jedem einzelnen Stück sagen: ‚Boah, geil!‘“

Schweinemaske mit allem, bitte!

Die Schweinemaske, also das Außenmaterial des Schweinekopfes, eignet sich zum Kochen, Schmoren, Pökeln genauso wie zur Wurstherstellung. Aber ganz gleich, welche Zubereitungsmethode zur Anwendung kommt: Die Schweinemaske muss gleich zu Beginn von Knorpeln und Borsten befreit und dann erst einmal in kochendes Salzwasser gegeben werden. Genauso wie das Kinn und das Zahnfleisch schmeckt auch das Fleisch der Schweinemaske generell ziemlich geleehaltig. Warm schmeckt es wie Schweinebauch. Wer es kalt essen möchte, muss das Fleisch hauchdünn schneiden, ansonsten ist es zu glitschig und geleeartig im Mund. Wolfgang Müller kocht die Maske mit Gemüse und Gewürzen etwa zwei Stunden lang aus, bis sie weich ist. Das weiche Fleisch muss noch in heißem Zustand in Würfel geschnitten werden. Müller legt die Würfel dann in eine ausgelegte Form und beschwert sie über Nacht mit einem Topf. Am nächsten Tag dann kann das Fleisch der Schweinemaske aus der Form genommen und in dünne Scheiben geschnitten werden. Müller serviert die Schweinemaske mit Pulpo, dicken Bohnen und einer Vinaigrette, die allesamt einen leicht säuerlichen und akzentuierten Kontrast zum runden Geschmack der Schweinemaske geben. Abgesehen von den Augen, die bereits herausgeschnitten wurden, hält die Maske jedoch noch ein zusätzliches Müller’sches Edelstück bereit: die Nase. Hier wird vollends klar, wie viel Müller von den in den letzten Jahrzehnten so vernachlässigten Einzelteilen hält. Denn zum dunklen Geschmack der Schweinenasen – die in China übrigens ein beliebter Straßensnack sind! – passt für Müller hervorragend Trüffel. Roh fühlt sich die Schweinenase wie eine weiche Wurst an. Wie man sich denken kann, muss eine Schweinenase zuerst ordentlich gewaschen und anschließend von Haaren und Knorpeln befreit werden. Auch müssen die Borsten ab, sonst kann es stachelig im Mund werden. Müller gibt die Schweinenasen mit gebräunten Zwiebelhälften, Balsamico und Thymian in eine Pökellake und lässt sie dort eine ganze Woche abgedeckt kühl lagern. Die Nasen werden dann vakuumiert und drei Stunden im Wasserbad ziehen gelassen. Müller serviert das leicht knorpelige, intensive Schweinenasenfleisch neben dem Trüffelvelouté mit Kartoffelpüree, Kartoffelchips und Speckchips.

Endgeil: Enddarm

Es ist kein Geheimnis: Die meisten Würste werden aus Schweinedarm gemacht. Oder anders gesagt: Schweinedarm wird nur zur Wurstverarbeitung verwendet. Auch hier findet Müller, dass mehr daraus gemacht gehört. Deswegen rückt er den Schweine-Enddarm ins Zentrum des Geschehens, indem er ihn grillt. „Den Enddarm grille ich zweimal, wie es die Chinesen auch machen. Am Schluss schmeckt er dann ein wenig wie Schweinemagen oder wie Kutteln vom Kalb oder vom Rind. Er schmeckt butterzart.“ Wichtig dabei ist, dass die Enddärme am Anfang mit lauwarmem Wasser gewaschen und von innen und außen gut getrocknet werden. Dann werden sie nur eine Minute in Rapsöl gebacken und anschließend in kaltem Zustand zwölf Stunden lang in einer Sojasaucen-Marinade mariniert. Nachdem Müller die Enddärme während gut einer Stunde in gesalzenem Wasser bei 80 Grad ziehen lassen hat, müssen sie erst einmal ruhen und erkalten. Erst dann werden sie zum letzten Mal in heißem Öl knusprig ausgebacken. Als Kontrast zur buttrigen Zartheit des Enddarms serviert Müller ein akzentuiertes Ingwer-Gelee und Lotuswurzeln als Beilage.

 

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