So ein Theater

Mit Kreativität ist es wie mit Intelligenz. Hat man mehr als alle anderen, weiß der Rest erst viel später, was man eigentlich meint. ROLLING PIN darüber, wie es einem solchen Pionier ergeht. Insbesondere wenn dieser auch noch einen großen Bruder namens Ferran Adrià hat.<br />
November 13, 2015

Albert Adrià Fotos: Werner Krug

Die häufig erste Frage an Albert Adrià? Stört es Sie, dass 90 Prozent der Leute, die Ihren Nachnamen hören, an Ihren Bruder denken? Mit dem Hinweis, diese Antwort schon gefühlte Millionen Mal gegeben zu haben, erwidert Albert Adrià: „Nein, wir sind ein Team. Teil davon zu sein, ehrt mich und außerdem haben wir für Missgunst gar keine Zeit.“

Dass sich die Begeisterung Adriàs zu dieser Frage in Grenzen hält, kann man dem Mann auch keinesfalls übel nehmen. Im Gegenteil: Das Verhältnis der Familie Adrià zu den Medien erscheint seit jeher etwas zwiespältig. Schließlich revolutionierte Alberts Bruder Ferran Adrià mit seiner Art zu kochen die Haute Cuisine weltweit. Von den Medien wurde er auf Schäumchen und Lüftchen reduziert, die näher an einem Labor als an einer Küche anzusiedeln seien.

Dabei war auch für Ferran Adrià – bereits bevor es zum omnizitierten, populären Statement verkam – „das Produkt der Star“. Ein elementares Prinzip, auf dem auch die Projekte Albert Adriàs fußen. Denn auch das ist der Global-Presse lange Zeit entgangen: Adrià gibt es im Doppelpack…

Albert Adrià Fotos: Werner Krug

Die häufig erste Frage an Albert Adrià? Stört es Sie, dass 90 Prozent der Leute, die Ihren Nachnamen hören, an Ihren Bruder denken? Mit dem Hinweis, diese Antwort schon gefühlte Millionen Mal gegeben zu haben, erwidert Albert Adrià: „Nein, wir sind ein Team. Teil davon zu sein, ehrt mich und außerdem haben wir für Missgunst gar keine Zeit.“

Dass sich die Begeisterung Adriàs zu dieser Frage in Grenzen hält, kann man dem Mann auch keinesfalls übel nehmen. Im Gegenteil: Das Verhältnis der Familie Adrià zu den Medien erscheint seit jeher etwas zwiespältig. Schließlich revolutionierte Alberts Bruder Ferran Adrià mit seiner Art zu kochen die Haute Cuisine weltweit. Von den Medien wurde er auf Schäumchen und Lüftchen reduziert, die näher an einem Labor als an einer Küche anzusiedeln seien.

Dabei war auch für Ferran Adrià – bereits bevor es zum omnizitierten, populären Statement verkam – „das Produkt der Star“. Ein elementares Prinzip, auf dem auch die Projekte Albert Adriàs fußen. Denn auch das ist der Global-Presse lange Zeit entgangen: Adrià gibt es im Doppelpack. Und das nicht etwa, weil der große Ferran nun einmal einen kleinen Bruder namens Albert hat, sondern weil Albert Adrià ebenso wie sein Bruder als einer der kreativsten Köche weltweit gilt.

Experience KücheNicht umsonst zeichnete der heute 43-Jährige ganze 23 Jahre für den süßen Abschluss und damit letzten Eindruck, den das elBulli beim Gast hinterließ, verantwortlich. Nebenbei agierte Albert noch als Geschäftsführer des elBulli Taller. Geburtsstätte jener Innovationen, die in der Regel im elBulli vor Staunen geöffnete Münder verursachten.

Als mit Juli 2011 wegen der Schließung des elBulli – laut S.Pellegrino-Liste lange Zeit das beste Restaurant der Welt – ein Aufschrei durch die Gastro- und Medienwelt schallte, hatte Albert Adrià schon längst kreative Nägel mit Köpfen gemacht. Im Jänner 2011 hatte er die Tapas-Bar Tickets in Barcelona eröffnet. Im April darauf die Restaurant-Bar namens 41° gleich nebenan. „Es war schon lange mein Wunsch, angelehnt an den Innovationsgedanken im elBulli eine zukunftsweisende Küche anzubieten, die aber für jeden zugänglich ist. Vom Konzept her komplett anders, aber mit demselben Spirit.“

Avantgarde für alle

Ganz im Stil Adrià bieten Tickets sowie 41° einzigartige gastronomische Erfahrungen. Die Konzepte sind derart komplex, dass man vielleicht sogar als Koch öfters hinsehen muss, um die Genialität jedes durchdachten Details im Ansatz zu verstehen. Albert Adrià dazu bescheiden: „Tickets ist eine normale typisch spanische Tapas-Bar. Die Leute sollen Spaß an unseren Gerichten und den großartigen Produkten Spaniens haben.“ Dass natürlich auch dieses Projekt nicht auf den gewissen Touch Adrià verzichtet, sei an dieser Stelle ordnungshalber erwähnt.

Albert Adriàs AvantgardekücheNichtsdestotrotz steht Spaß beziehungsweise Unterhaltung im Tickets ganz oben auf der Prioritätenliste. Albert Adrià wählte nicht zufällig den Standort in der Avenida Parallel, sowohl für Tickets als auch für 41°. Schließlich war diese Avenida noch vor 100 Jahren Treffpunkt für Künstler und Freigeister – eine brodelnde Konzentration an Theatern und Kabaretts, in denen die Lichter der Stadt erst in den frühen Morgenstunden erloschen.

In der Zwischenzeit findet man Bühnen dieser Art hier nur noch vereinzelt. Daher eröffnete Albert Adrià eben einfach sein eigenes Kulinarik-Theater, in dem der Gast nach allen Regeln der Kunst unterhalten wird. Reserviert werden kann nur über ein Online-Ticket-System – ganz wie beim Kartenkauf für ein langersehntes Rock-Konzert. Begrüßt wird man von einem freundlichen Portier, gekleidet wie ein Zirkusdirektor, der einen einlädt, im bunten kulinarischen Treiben unterzutauchen.

„Komplett unterschiedliche Konzepte, immer mit demselben Spirit.“
Albert Adrià über die Konzepte von Tickets und 41°, Barcelona

Dann gibt es spanische Tapas à la Adrià. „Auster mit Algenwasser-Sphäre“, „Wassermelone als Sangria-Würfel“ und „Thunfisch-Bauch bepinselt mit Bauchfett vom Iberico-Schwein-Rohschinken“. Hinuntergespült werden diese Kreationen mit lokalem Bier der Brauerei Estrella Damm oder preiswerten, aber keinesfalls minder raffinierten spanischen Rot- und Weißweinen. Zum wunschlos glücklichen Kind wird man, wenn es ans Zuckerwatte-Naschen vom Baum geht und zu guter Letzt ein Eismann seinen Wagen zuerst mit einem hellen Klingeln ankündigt, um schließlich das abschließende Dessert-Häppchen zu servieren.

Albert Adrià WordrapGelungene Vorstellung
Inszenierung. Eine Kunst, die die Adriàs für sich gepachtet zu haben scheinen, Albert Adrià mit seinem Tickets allerdings nochmals zu toppen vermochte. Das angrenzende 41° kommt im Gegensatz zu Tickets weit gediegener daher. Auch hier nochmals der obligatorische Verweis auf den Touch Adrià, der auch 41° zum Garanten für eine gelungene Gastro-Vorstellung macht. „Im Tickets sollen die Leute Spaß haben. Im 41° aber wollen wir inspirieren“, erklärt Adrià die Konzepte seiner direkt aneinandergrenzenden Lokale. „Im 41° führen wir unsere Gäste auf absolutes kulinarisches Neuland. Daher arbeiten dort auch für 16 Sitzplätze 18 Personen. 14 davon Köche.“

Angeboten werden Gerichte benannt nach kulinarischen Reisen, wie beispielweise „Nordische Reise“ oder „Reise nach Peru“. In diesen Menüfolgen werden traditionelle Zutaten und Gerichte der jeweiligen Nationen kreativ interpretiert und mit internationalen Akzenten ergänzt. Das Ergebnis präsentiert sich auf dem Teller beispielsweise als „Tiradito Peruano, Püree aus Chili-Rocoto, Salat aus grüner Papaya, katalanischer Zwiebel und Koriander-Sud mit Salsa Nikkei“. Letzteres bedeutet übrigens so viel wie „Japanisches, weit entfernt von Japan“. Zurückgehend auf die japanische Imigration nach Peru vor über 100 Jahren. „41° ist unsere Kreativwerkstätte. Hier haben wir auch die Manpower, um spannende Dinge auszuprobieren.“

Der Hauptumsatz des 41° wird aller Wahrscheinlichkeit nach nämlich sowieso nach Mitternacht lu-kriert. Denn dann verwandelt sich das Gourmetrestaurant der kulinarischen Grenzgänge in eine Szene-Bar, die ohne Reservierung für jeden zugänglich ist. Besucher haben dann die Wahl zwischen über 50 verschiedenen Gin-Sorten oder dem hausgemachten Hazelnut-Infused-Vodka, der im 41°-Eisblock die ideale Temperatur hält.

„Sich von der Kreativität leiten zu lassen und bei allem, was man tut, zu hinterfragen, wieso man es so macht und ob es anders vielleicht nicht besser wäre“, das sei die Basis aller seiner Kreationen und Projekte, ist Adrià überzeugt. Seine Restaurants, Bücher und Publikationen sieht Albert Adrià ebenso wie sein Bruder dabei als Plattform für seine Kreativität. Reichen vorhandene Strukturen nicht mehr aus, wird weitergetüftelt. Aktuell planen Albert Adrià und sein Team – ein Großteil davon altbekannte Gesichter aus dem elBulli – an der Eröffnung des mexikanischen Restaurants Jaguar Can im März 2013 in Barcelona sowie an der Umsetzung des bereits im Dezember 2012 eröffnenden Restaurants Nikkei, mit japanisch-peruanischer Fusionsküche à la Adrià. Ebenso am Plan für 2013: ein Tickets-Tapas-Buch sowie die eventuelle Expansion mit 41° nach Dubai.

Elementar ist für den Aficionado des puren Geschmacks dabei aber stets nur eines: „Ich möchte meinen Gästen mit meiner Kreativität höchste Freude und Genuss verschaffen.“ Daher sagt Albert Adrià auch nicht Nein, wenn seine Gäste ihn um den alten elBulli-Klassiker, die Oliven-Sphäre, bitten. Auch wenn ihm der Presse gegenüber, in Interviews zur elBulli-Schließung, Oliven-Sphären oder der beliebten Frage nach seinem Bruder – trotz all seiner großartigen Konzepte und Ideen – wohl wieder einmal klar werden dürfte, wie sehr er seiner Zeit eigentlich voraus ist.

www.ticketsbar.es</ br>
www.41grados.es

Albert Adrià im elBulli

FERRAN ADRIÀ
Pionier der avantgardistischen Küche und Executive Chef des ehemals besten Restaurants der Welt, elbulli. Ab 2014 wird aus dem ehemaligen Restaurant die fundación elbulli, eine branchenübergreifende Ideenwerkstätte.
www.fundacionelbulli.org

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FAMILIENBANDE
Der Großmeister der Avantgarde-Küche über seinen Bruder Albert Adrià. Warum elbulli ohne ihn niemals dasselbe gewesen wäre und wieso Albert das Pong in seinem Leben ist.

Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit Ihrem Bruder beschreiben?
Ferran Adrià: Abgesehen davon, dass Albert mein Bruder ist, bin ich der Meinung, dass er einer der kreativsten Köche des Globus ist. Im Restaurant elBulli hatte ich großes Glück, auf ihn als Chef-Pâtissier zählen zu dürfen. So konnte ich mich verstärkt auf die salzige Küche konzentrieren. Unsere starke Verbindung, sowohl familiär als auch auf konzeptionellem Niveau, bewirkte, dass wir eine unglaubliche Synergie zwischen der salzigen und der süßen Welt im elBulli geschaffen haben.

Wie sieht die heutige Rollenverteilung in der Gastro-Welt Adrià aus?
Adrià: Man könnte sagen, ich bin das Ping und Albert das Pong. Früher teilten wir uns in die süße und die salzige Fraktion. Was aber nicht bedeutet, dass es nicht des Öfteren kreative Ausflüge in die jeweils andere gab. Aktuell ist Albert sehr beschäftigt mit Projekten rund um Tickets und 41°. Er ist in Hochform, was ich großartig finde. Ich für meinen Teil arbeite gerade an der Realisierung der Fundación elBulli ab 2014 sowie dem Buch elBulli 2006–2011 und der Bullipedia. Trotzdem helfen wir uns gegenseitig, wo immer wir nur können.

Sie sind doch auch beteiligt an Tickets und 41°, nicht?
Adrià: Es sind Projekte von Albert. Er hat natürlich meine ganze Unterstützung. Mit der größten Freude bringe ich meine Eindrücke und Ideen ein. Beide Lokale sind immens wichtig für elBulli und es fühlt sich auch ein bisschen an wie unseres. Nichtsdestotrotz sind es eigenständige Projekte von Albert und den Iglesias-Brüdern.

Wie oft trifft man Sie in Tickets oder 41° an?
Adrià: Unglaublich oft. Nicht weil es die Lokale meines Bruders sind, sondern weil sie mich schlichtweg begeistern. Sowohl Tickets als auch 41° bringen es fertig, die Faszination Gastronomie zu vermitteln, wie ich es selten gesehen habe.

Planen Sie, in Zukunft wieder ein gemeinsames Projekt zu starten?
Adrià: Unsere Projekte sind ohnehin alle untrennbar miteinander verwoben. Allein schon auf sentimentaler und familiärer Ebene. Wir profitieren ungemein von der kreativen Synergie. Wie gesagt, momentan befinde ich mich mitten in der Planung von allem, was elBulli oder die Fundación elBulli betrifft.

Welches war Alberts Rolle während der Entwicklung der avantgardistischen Küche? Wäre das Ergebnis ohne Albert dasselbe?
Adrià: Niemals. Alberts Rolle während dieser Phase und die gesamte Zeit im elBulli über war fundamental. Albert hat unglaublich viel ins elBulli eingebracht. Nicht nur neuartige Texturen, sondern ganze Techniken und Konzepte. Ohne ihn wäre nichts so gewesen, wie es war.

Also wurden viele Ideen gemeinsam entwickelt?
Adrià: Unsere Ideen sind sehr oft im Dialog entstanden. Nicht nur zwischen uns beiden, sondern im Gespräch mit dem gesamten Team. Vier Augen sehen nun einmal mehr als zwei und zwei Gehirne denken besser als eines.

Wie würden Sie Ihren Bruder als Person und in der Küche beschreiben?
Adrià: Mein Bruder ist sehr pragmatisch. Er ist extrem begabt, was technische Belange angeht, und er hat einen außerordentlichen Geschmackssinn. Wenn er kocht, fühlt er sich frei. Wobei er während der Entwicklung seiner Gerichte und beim Kochen auch immer daran denkt, was seinen Gästen schmeckt und schmecken könnte. Ich würde sagen, Genuss und Geschmack sind seine primäre Leidenschaft, gefolgt von der Suche nach neuen Techniken und Konzepten, die die Einmaligkeit eines Produkts noch besser hervorheben.

 

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