Rettet Mieze Schindler

Die geplante EU-Saatgutverordnung stoppt die Sortenvielfalt. Und lässt damit die Bauern und Köche an der langen Hand der industrie verkümmern. Und die kleine Erdbeere mieze wird es nicht mehr geben …
November 13, 2015

SortenvielfaltQuelle: Arche Noah, Global 2000 / adaptiert von „EU-Saatgutrecht: Die Perspektive der Zukunft“
Fotos: Werner Krug, shutterstock

Worüber definieren sich Köche seit Eckart Witzigmann? Über ihr Produkt. Und nun stellen Sie sich bitte Folgendes vor: In fünf Jahren werden Sie nur mehr die Wahl haben zwischen zehn Hybridtomatensorten, die alle nach nichts schmecken. Na, bleibt bei dieser Vorstellung ein bitterer Nachgeschmack? Gut. Denn der wird auch nicht verschwinden. Dieses Arten-Armageddon – gilt für Tomate, Marille, Gerste und alles andere, was aus einem Saatgut keimt – tritt ein, wenn die geplante EU-Saatgutverordnung in ihrer jetzigen Form beschlossen und umgesetzt wird.

Seit 2008 wird in Brüssel an dieser Neuregelung gebastelt, die dazu dienen soll, die zwölf EU-Richtlinien und deren Umsetzung in den nationalen Saatgutgesetzen zu ersetzen. Der erste Entwurf wurde im Mai 2013 präsentiert. Der Name: „Intelligentere Vorschriften für sicherere Lebensmittel“. Das Herzstück: eine verpflichtende Zulassung von Sorten und Untersuchung des Vermehrungsmaterials. Die Stoßrichtung: Industrielle, auf Produktivitätssteigerung ausgerichtete Landwirtschaft ist toll und wird gefördert – Hybridsorten sind ganz klasse. Das Problem: Alte Sorten und Raritäten, wie Mieze Schindler, die Rote Emma und Goldetta, werden…

SortenvielfaltQuelle: Arche Noah, Global 2000 / adaptiert von „EU-Saatgutrecht: Die Perspektive der Zukunft“
Fotos: Werner Krug, shutterstock

Worüber definieren sich Köche seit Eckart Witzigmann? Über ihr Produkt. Und nun stellen Sie sich bitte Folgendes vor: In fünf Jahren werden Sie nur mehr die Wahl haben zwischen zehn Hybridtomatensorten, die alle nach nichts schmecken. Na, bleibt bei dieser Vorstellung ein bitterer Nachgeschmack? Gut. Denn der wird auch nicht verschwinden. Dieses Arten-Armageddon – gilt für Tomate, Marille, Gerste und alles andere, was aus einem Saatgut keimt – tritt ein, wenn die geplante EU-Saatgutverordnung in ihrer jetzigen Form beschlossen und umgesetzt wird.

Seit 2008 wird in Brüssel an dieser Neuregelung gebastelt, die dazu dienen soll, die zwölf EU-Richtlinien und deren Umsetzung in den nationalen Saatgutgesetzen zu ersetzen. Der erste Entwurf wurde im Mai 2013 präsentiert. Der Name: „Intelligentere Vorschriften für sicherere Lebensmittel“. Das Herzstück: eine verpflichtende Zulassung von Sorten und Untersuchung des Vermehrungsmaterials. Die Stoßrichtung: Industrielle, auf Produktivitätssteigerung ausgerichtete Landwirtschaft ist toll und wird gefördert – Hybridsorten sind ganz klasse. Das Problem: Alte Sorten und Raritäten, wie Mieze Schindler, die Rote Emma und Goldetta, werden die erforderlichen Zulassungstests nicht bestehen, falls ihre Ziehväter und -mütter überhaupt das Geld aufbringen, ihre Schätze als Sorte anmelden zu können.

75 Prozent des Saatgutmarktes befinden sich in der Hand von zehn internationalen konzernen. Und es wird mehr.

Warum Mieze nicht mehr zum Spielen rauskommt
Und hier der Pudels Kern schön auf dem Silbertablett: Es soll die Saatgutvermarktung durch das europäische Saatgutrecht erfasst werden. Damit dann eine Sorte von Gemüse, Obst oder Getreide überhaupt auf dem Markt weitergegeben werden darf, muss sie nach neuer Vorschrift von Behörden, also Sesselhelden, die vermutlich noch nie einen Acker betreten haben, als Sorte zugelassen und ihr Vermehrungsmaterial (= Saatgut, Edelreiser, Knollen) zugelassen und auch – wichtig – registriert werden.

Kostenpunkt: mindestens 1000 Euro. Nun ja, vielleicht bekommt man das Geld ja noch irgendwie zusammen. Aber das bedeutet nicht, dass nun alles schnell geht. Denn der wahre Grund, warum die Sortenvielfalt massiv bedroht ist, liegt im Detail. Genauer gesagt im Genmaterial der alten Sorten. Das, was Köche und Konsumenten eben so lieben, das mag die EU-Vorschrift gar nicht. Und hat deswegen den DUS-Test eingeführt (siehe nächste Seite). Die Kriterien der Zulassung – Homogenität, Beständigkeit, Unterscheidbarkeit – zielen in erster Linie auf Hochleistungssorten ab.

Denn eine Varianz ist nicht gefragt, bereits fünf Millimeter auf oder ab, und schon gibt’s diese Pflanze nicht im Register und somit nicht am Markt und nicht mehr in der Küche der Restaurants. Und nein, nicht-registrierte Sorten, auch wenn die ein Geschenk waren, dürfen dem Gast nicht gegeben werden. Ist illegal. Die Ausnahmeregelung für Kleinunternehmen (siehe Folgeseiten), die bereits ausgehandelt wurde, ist dabei nur ein Tropfen auf den dürren Acker.
Na, wie schmeckt Ihnen das?

EU-Saatgutverordnung

Kritische Punkte … und ihre Lösungen

Der Anwendungsbereich

Nicht nur das Inverkehrbringen von Saatgut und Pflanzgut zu kommerziellen Zwecken wie bisher, sondern auch sämtliche Formen der Zurverfügungstellung von Vermehrungsmaterial werden mit der Verordnung geregelt.

-> Der Passus „zum Zweck der kommerziellen Nutzung“ muss in die Definitionen (Artikel 3) wieder eingefügt werden.
Die Weitergabe

Sobald Privatpersonen Saatgut oder Pflanzgut gegen Geld tauschen, fallen sie unter die Kategorie „Nischenmarkt“ und müssen die Anforderungen des Artikels 36 (siehe unten) erfüllen.

-> Der Tausch von Saatgut und anderem Vermehrungsmaterial zwischen Privatpersonen muss gänzlich ausgenommen werden.
Strafen für Vielfaltsbauern

Jeder Landwirt, der Vermehrungsmaterial bereitstellen will, muss sich als „Unternehmer“ (Artikel 36) registrieren – inklusive aller finanziellen und bürokratischen Auflagen. Die Ausnahme für Nischenmärkte ist unzureichend.

-> Der Austausch von Vermehrungsmaterial zwischen Landwirten sowie Landwirten und Privaten muss ausgenommen werden.

Alle Arten sind betroffen

Sogar für seltene Sorten mit geringer oder keiner ökonomischen Bedeutung gelten sogenannte „grundsätzliche Anforderungen“ betreffend Qualität und Etikettierung.

-> Keine verpflichtende Zulassung und Zertifizierung von Saatgut und anderem Vermehrungsmaterial von samenfesten Sorten.

Demokratische Problematik

39 wesentliche rechtliche Fragen sollen auf willkürliche Weise von der Kommission in delegierten Rechtsakten festgelegt werden.

-> Alle delegierten Rechtsakte eliminieren. Raum für nationale Vorschriften und Anpassungen an regionale Gegebenheiten ermöglichen.

Alle Arten sind betroffen

Sogar für seltene Sorten mit geringer oder keiner ökonomischen Bedeutung gelten sogenannte „grundsätzliche Anforderungen“ betreffend Qualität und Etikettierung.

-> Keine verpflichtende Zulassung und Zertifizierung von Saatgut und anderem Vermehrungsmaterial von samenfesten Sorten.

Die DUS-Tests

Die DUS-Tests stellen für alte und seltene Sorten biologische und technische Hürden für den Zugang zum Markt auf. Das ist vor allem für Sorten, die auf ökologische Landwirtschaft abzielen, ein Problem.

-> Vorschläge für die Arbeit mit heterogenen und anpassungsfähigen Sorten wurden von EcoPB und IFOAM-EU erarbeitet.

Amtlich anerkannte Beschreibung

Die vereinfachte Registrierung (Artikel 57) steht nur jenen Sorten offen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung bereits auf dem Markt gewesen sind („historische Einschränkung“). Weiters müssen eine oder mehrere Herkunftsregionen angegeben werden („geografische Einschränkung“).

-> Die historische und geografische Einschränkung löschen. Die vereinfachte Registrierung muss allen samenfesten Pflanzen offenstehen.

Der Artikel 36 – Nischenmarkt

Artikel 36 bringt eine Ausnahme bei der Registrierung von Saatgut und anderem Vermehrungsgut. Diese Ausnahmen betreffen jedoch nur kleine Mengen. Sogenannte „Unternehmer“ können davon nur Gebrauch machen, wenn sie maximal zehn Mitarbeiter haben und einen Jahresumsatz unter zwei Millionen Euro. Etikettierungsvorschriften und technische Anforderungen müssen garantiert werden – was finanzielle und technische Kosten nach sich zieht.

-> Alle kleinen Landwirte und Privatpersonen müssen gänzlich aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen werden.

Stimmen für Mietze

Wie Laut können wir sein? Unterschreibt auf www.rollingpin.eu/rettetmieze
Lasst Mieze und ihre Freunde weiter auf den Tellern der Gastronomie eine Rolle Spielen!

php0EIsf6Juan Amador
Heute werden von Bürokraten Obst- und Gemüsesorten quasi verboten und morgen versucht die Industrie, den verloren gegangenen Geschmack mit künstlichen Aromen zurückzuholen. Gegen solchen Irrsinn muss man sich wehren. Mieze muss leben.


phpZ0kYlsHeinz Reitbauer
Wir werden uns, mit all den zur Verfügung stehenden Mitteln, gegen diese geplante Saatgutverordnung wehren. Sollte die Verordnung trotzdem in Kraft treten, bleibt uns nur der Schritt in die Illegalität! Das kann Europa nicht wollen und muss verhindert werden!


phpsXMgo4Thomas Dorfer
Diesem Tun der vermeintlich Richtiggläubigen muss der Riegel vorgeschoben werden, aus Leidenschaft für die Individualität in unseren Küchen werden wir mit großem Engagement und Ehrgeiz im Schulterschluss mit unseren Produzenten und Bauern dagegen vorgehen!


php4Lcz3PKlaus Erfort
Essen ist nicht nur reine Bedürfnisbefriedigung. Essen ist auch eine wertvolle Genusserfahrung. Das ist jedoch nur der Fall, wenn auch weiterhin hervorragende Produkte verfügbar sind, die nicht ausschließlich dem Diktat der Profitmaximierung untergeordnet werden. Sondern bei denen es ausdrücklich um eine Geschmacksmaximierung geht. Genau wie bei Mieze Schindler, die – so wie viele ihrer Geschwister – auf keinen Fall der EU-Saatgutverordnung geopfert werden darf!


phpSEY0gpAndreas Döllerer
Ich als österreichischer Koch bin stolz auf unsere Bauern und die Artenvielfalt, die sie seit Jahren fördern und pflegen. Jetzt ist es an der Zeit, sich an ihre Seite zu stellen und zu zeigen dass wir uns dieses wunderbare Kulturgut nicht einfach kaputtmachen lassen!


phpHHccJCEckart Witzigmann
Die Neuregelung der EU-Saatgutverordnung ist ein Generalangriff auf den individuellen Geschmack. Wir sollten diese tickende Zeitbombe so schnell wie möglich entschärfen, da ist Gefahr im Verzug.

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