Durch dick und dünn

Bindungsängste, ade: Hydrokolloide wie Xanthan lassen die Herzen von Texturfreaks höherschlagen. Aber nur wer richtig wählt, hat Aussicht auf die große Aromen-Textur-Liebe.
November 13, 2015

Hydrokolloide Fotos: Shutterstock

Langsame, zähflüssige Bewegungen sind in der Top-Gastronomie etwa genauso erwünscht und angebracht wie das Christkind im sexy Minikleid. Natürlich bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel: nämlich wenn sich der träge Küchenkumpane im Gericht befindet und das Christkind für den Playboy gecastet wurde. Im Fall des zähflüssigen Trödlers läuft dieser dann auch nicht mehr unter „Schleicher“, sondern wird als Hydrokolloid betitelt und ist verantwortlich für die Textur von Cremes, Gelen und Fonds.
Dabei klingt der Name des kleinen Küchenhelfers physikalisch hochgestochener, als er ist. Denn es bedeutet nichts anderes als – erstens: Sie lösen sich in Wasser, und zweitens: Sie bilden dabei große molekulare Strukturen. In der Physik Kolloide genannt. Das Prinzip, nach dem sie funktionieren, ist dabei ein ganz einfaches. Würde es nicht so banal klingen, könnte man es glatt als U-Bahn-Prinzip betiteln. Denn Hydrokolloide tun nichts anderes, als Wassermoleküle um sich zu binden.
Man stelle sich also eine U-Bahn-Station vor, in der nur wenige Leute warten. Ein leichtes Durchkommen. Denkt man an die frühmorgendliche Rushhour, entspricht das schon einer höheren Dosis an Hydrokolloiden. Die Masse der Leute bewegt sich zähflüssiger. Beschließen die Menschen in der Früh spontan, Sirtaki zu tanzen, und haken ein – dann bilden sie eine Kette, ebenso wie es Hydrokolloide tun. Nur heißen diese dann Polymerketten. Je länger diese sind, umso größer der Bindungseffekt. Logisch und eigentlich gar nicht so abgefahren, wie der Name vermuten lässt.
Das nächste Minus auf der Nimbus-Skala: Auch wenn die futuristische Bezeichnung klingt wie aus einem Science-Fiction-Film, so ist der Einsatz von Hydrokolloiden fast so alt wie das Kochen selbst. Schließlich dickte schon der vorchristliche Römer Apicus…

Hydrokolloide Fotos: Shutterstock

Langsame, zähflüssige Bewegungen sind in der Top-Gastronomie etwa genauso erwünscht und angebracht wie das Christkind im sexy Minikleid. Natürlich bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel: nämlich wenn sich der träge Küchenkumpane im Gericht befindet und das Christkind für den Playboy gecastet wurde. Im Fall des zähflüssigen Trödlers läuft dieser dann auch nicht mehr unter „Schleicher“, sondern wird als Hydrokolloid betitelt und ist verantwortlich für die Textur von Cremes, Gelen und Fonds.
Dabei klingt der Name des kleinen Küchenhelfers physikalisch hochgestochener, als er ist. Denn es bedeutet nichts anderes als – erstens: Sie lösen sich in Wasser, und zweitens: Sie bilden dabei große molekulare Strukturen. In der Physik Kolloide genannt. Das Prinzip, nach dem sie funktionieren, ist dabei ein ganz einfaches. Würde es nicht so banal klingen, könnte man es glatt als U-Bahn-Prinzip betiteln. Denn Hydrokolloide tun nichts anderes, als Wassermoleküle um sich zu binden.
Man stelle sich also eine U-Bahn-Station vor, in der nur wenige Leute warten. Ein leichtes Durchkommen. Denkt man an die frühmorgendliche Rushhour, entspricht das schon einer höheren Dosis an Hydrokolloiden. Die Masse der Leute bewegt sich zähflüssiger. Beschließen die Menschen in der Früh spontan, Sirtaki zu tanzen, und haken ein – dann bilden sie eine Kette, ebenso wie es Hydrokolloide tun. Nur heißen diese dann Polymerketten. Je länger diese sind, umso größer der Bindungseffekt. Logisch und eigentlich gar nicht so abgefahren, wie der Name vermuten lässt.
Das nächste Minus auf der Nimbus-Skala: Auch wenn die futuristische Bezeichnung klingt wie aus einem Science-Fiction-Film, so ist der Einsatz von Hydrokolloiden fast so alt wie das Kochen selbst. Schließlich dickte schon der vorchristliche Römer Apicus seine Suppe mit Brotkrumen ein. Denn auch Brot und die altbekannte Roux (Mehlschwitze) zählen streng genommen zur Familie der Hydrokolloide.

Ohne Frage erleichtern Xanthan und co. vieles. Ein schlechtes Dessert retten sie trotzdem nicht.
Albert Adrià über den Effekt von Hydrokolloiden

Wenn Flüssiges heute tropft
In der modernen Küche und Pâtisserie sind bei der Sprache von Hydrokolloiden allerdings meistens Verdickungsmittel und Gelene abseits der ureingesessenen Methoden gemeint. Das Gespräch dreht sich dabei um Xanthan, Kapa-Carrageen, Kuzu und Co. Und auch wenn die Namen wiederum klingen wie eine Fortsetzung von „Krieg der Sterne“ oder die geheime Unterhaltung zweier Klingonen – der Großteil dieser Verdickungsmittel hat einen natürlichen Ursprung. Als Quelle dienen verschiedene Rotalgen-Arten wie bei Agar-Agar und Iota-Carrageen, die Knolle der Teufelszunge für Konjakgummi sowie Holz, Baumwolle oder andere zellstoffreiche Pflanzenarten im Fall der Hydrokolloide Methylcellulose und Carboxymethylcellulose.
Im Pâtisserie-Regal laufen diese Vertreter dann, je nach Hersteller, unter den Namen Metil oder Agar, und sind von dort auch nur noch schwer wegzudenken.
Albert Adrià, ehemaliger Chef-Pâtissier im elBulli, Executive Chef und Inhaber mehrerer Restaurants in Barcelona wie Tickets oder Pakta sowie gemeinsam mit seinem Bruder Ferran das Gesicht für die Albert und Ferran Texturas: „Natürlich erleichtern Produkte wie Xantana, Kappa oder Gellan unsere Arbeit. Allein deswegen, weil man damit unterschiedlichste Texturen erreichen kann. Eine schlechte Mousse au Chocolat wird deshalb aber trotzdem immer eine schlechte bleiben.“ Trotzdem. Moderne Verdickungsmittel haben sowohl in der Pâtisserie wie auch in der Küche eine neue Bandbreite an Texturen und Konsistenzen eröffnet, die ausschließlich mit Stärke und anderen traditionellen Hydrokolloiden nicht erreicht werden kann.
Dadurch sind sie zu einer Schlüsselkomponente der Modernist Cuisine avanciert. Denn in einer Welt, in der es schon fast alles gibt, soll der Gast nicht nur durch eine außergewöhnliche Aromenkombination, sondern auch durch aufregende Texturen überrascht werden. Mundgefühl lautet also das Schlagwort.
Das variiert je nach Art des Verdickungs- oder Geliermittels. Denn während Kapa-Carrageen feucht-spröde bricht, ist das Mundgefühl beim Einsatz von Gellan oder Iota-Carrageen bröseliger. Für extrem weich schmelzende Ergebnisse wie für Cremes und insbesondere Eis ist Ioata-Carrageen zuständig.
Tricks, die der Lebensmittelindustrie schon lange bekannt sind, bestätigt Thomas Vilgis, Molekularphysiker am Max-Planck-Institut der Universität Mainz: „Im industriellen Bereich ist der Einsatz dieser Hydrokolloide schon lange Routine. Den Weg in die europäische Top-Gastronomie und Hotellerie haben sie über Ferran und Albert Adrià und deren Texturas gefunden.“
Großer Irrglaube sei es aber, mit Xanthan, Iota und Co. zu meinen, ein Zaubermittel in Händen zu halten, das den Aufwand für ein Gericht schnell einmal halbiert. Das endet nämlich meist in gummibärartigen, geschmacklosen Gelwürfeln, die vom Gast zu Recht als Effekthascherei enttarnt werden.
Auch Andy Vorbusch, ehemaliger Chef-Pâtissier im 3-Sterne-Restaurant Vendôme und heute Betreiber der Pâtisserie und Kaffeerösterei Sööt in Düsseldorf, warnt davor, es sich mit Xanthan und Co. zu leicht zu machen: „Ich glaube nicht, dass diese Produkte die Arbeit vereinfachen. Man bekommt nur andere Ergebnisse.“

Der Vorteil sei natürlich insbesondere in der Pâtisserie, dass man das Grundprodukt mithilfe der richtigen Hydrokolloide nicht mehr zwingend erhitzen müsse wie beim Einsatz von Gelatine. Vorbusch: „Erdbeeren sind ein Paradebeispiel. Sobald man sie kocht, verändert sich ihr Geschmack. Die Frische geht verloren.“ Bindet man mit kaltlöslichen Hydrokolloiden wie Xanthan muss man sich mit dieser Problematik nicht auseinandersetzen. „Insbesondere Iota hat für mich einen besonders hohen Stellenwert in der Pâtisserie. Derart cremige Konsistenzen kriege ich ansonsten schwer hin. Gerade für Eis ist Iota einfach sagenhaft.“ Nicht nur, dass es extrem temperaturstabil ist und nicht auskristallisiert, man kann auch ganz exakt damit arbeiten. „Bei den Eisstabilisatormischungen von früher wusste niemand, was drin ist“, so Vorbusch.
Das gehört dank der reinsortigen Hydrokolloide wie den Adrià-Texturas oder den Mugaritz-Experience-Produkten vom baskischen 2-Sterne-Koch Andoni Luis Aduriz glücklicherweise der Vergangenheit an.
„Manche verwenden Verdickungsmittel wie Xanthan oder Johannisbrotkernmehl aber auch nur, um den einfachen Weg zu gehen“, so Vorbusch. Der Pâtissier bezieht sich dabei auf den 2-in-1-Effekt, beispielsweise mit Guarkernmehl kalt zu binden und gleichzeitig eine Emulsion herzustellen, oder auch Jus mit Bindemitteln die richtige Konsistenz zu verleihen. Schließlich sind Reduktionen, neben Butter das Allheilmittel aus der Nouvelle Cuisine, auch immer eine Kostenfrage. Der Trüffeljus wird dann also gegenwärtig doch eher mit Xanthan in die gewünschte Konsistenz gebracht. Trotzdem intensiviert sich beim Reduzieren das Aroma. Das hat Xanthan nicht drauf. Im Gegenteil, bestätigt Vilgis: „Insbesondere kalt lösliche Hydrokolloide wie Xanthan, Johannisbrotkernmehl oder Guarkernmehl binden Geschmack.“ Dosiert man obendrein auch noch falsch, wirkt Xanthan wie auch Guarkernmehl direkt schleimig im Mund. Ein Mundgefühl, das in der gehobenen Pâtisserie in die Beliebtheitskategorie Ratten im Kühlhaus fällt. Die richtige Dosierung sowie der Einsatz des passenden Verdickungs- oder Geliermittels für den gewünschten Zweck sind also das Um und Auf für Textur-Erfolge, die aufgrund ihrer Großartigkeit und nicht Schleimigkeit in Erinnerung bleiben. Vorbusch: „Eine meine ersten Anschaffungen, als ich begonnen habe, mit Iota oder Agar-Agar zu arbeiten, war die Drogenwaage. Also ja, jeder Top-Pâtissier sollte so eine Drogenwaage bei sich am Posten stehen haben.“ Denn diese Waage gibt sich nicht mit Grammangaben zufrieden. Das ist auch gut so: Denn bereits 0,1 Gramm zu viel des Guten ergeben seifigen Schleim anstatt zart schmelzender Aromen.

Dickste Kumpels
Das nächste Level ist dann die gekonnte Kombination von Hydrokolloiden für den gewünschten Effekt. So bindet Agar Agar noch stärker im Zusammenspiel mit Johannisbrotkernmehl oder Konjakgummi. Xanthan hat eine höhere Viskosität, wird also dickflüssiger, mit Guarkernmehl oder Carrageen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Einfach ein Löffelchen Agar-Agar in die Mousse geschmissen und fertig ist das molekulare Meisterwerk – so funktioniert das Ganze also nicht. Wer sich aber auf die Hydrokolloide einlässt und weiß, wie man sie richtig einsetzt, der hat mit ihnen moderne Produkte an der Seite, die nicht nur mit ihm durch dick und dünn gehen, sondern auch helfen, sich durch die exakte Herausarbeitung von Aromen erweitert durch kreative Texturen vom gastronomischen Einheitsbrei aus Gummiwürfeln und Gel-Shots abzuheben.

Kuzu
Allgemeine Info: Dieses auf Stärke basierende Hydrokolloid wird aus der japanischen Kuzu-Wurzel gewonnen und ist auf der Insel bereits seit Jahrhunderten als Bindemittel im Gebrauch. In der traditionellen chinesischen Medizin gilt Kuzu sogar als Heilmittel.
Einsatzbereiche: Kuzu ist kalt löslich, im gekochten Zustand durchsichtig und bindet Aromen nur im geringen Ausmaß. Das Texturspektrum reicht von cremig bis fest.

Johannisbrotkernmehl
Allgemeine Info: Gewonnen wird dieses Hydrokolloid aus den Samen der Johannisbrotfrucht. Es ist bedingt kalt löslich, allerdings mit einer größeren Gefahr, ein schleimiges Mundgefühl zu bilden.
Einsatzbereiche: Johannisbrotkernmehl wird selten alleine verwendet, sondern in Kombination mit Xanthan für eine gelartige Textur. Johannisbrotkernmehl (LBG) wird zum Verdicken, Stabilisieren von Emulsionen sowie zur Filmbildung verwendet.

Xanthan
Allgemeine Info: Xanthan gilt als das vielseitigste Verdickungsmittel. Biotechnisch aus Stärken fermentiert, ist Xanthan bereits fixer Bestandteil der gehobenen Gastronomie.
Einsatzbereiche: Zur Gelbildung benötigt Xanthan zwar ein weiteres Hydrokolloid, ist aber eines der verlässlichsten Verdickungsmittel. Darüber hinaus ist Xanthan auch noch kalt löslich und toleriert Salze sowie Alkohol.

Pektin
Allgemeine Info: Aus Apfel- oder Zitrusschalen extrahiert, zählt Pektin zu den am längsten bereits verwendeten Hydrokolloiden.
Einsatzbereiche: Traditionell in Konfitüren im Einsatz, eignet sich das Hydrokolloid Pektin zudem unter bestimmten Voraussetzungen wie hoher Säure sowie Zucker als Wasser-binder zur Herstellung besonders fester Gele, ohne dabei Aromen im großen Ausmaß zu absorbieren.

Agar-Agar
Allgemeine Info: Agar-Agar wird aus verschiedenen Rotalgenarten gewonnen und ist auch im Haushaltsbereich bereits ein etabliertes Geliermittel für Vegetarier.
Einsatzbereiche: In der Pâtisserie und Gastronomie dient es zur Stabilisierung von Emulsionen sowie zum Verdicken und Gelieren. Es toleriert Salze, Zucker und Alkohol und gilt darüber hinaus als besonders hitzebeständig. Je nach Hersteller hält die Textur Temperaturen bis zu 80 °C stand.

Iota-Carrageen
Allgemeine Info: Auch Iota-Carrageen ist ein Hydrokolloid auf Algenbasis. Meist wird Iota-Carrageen, wie andere Carragene auch, aus den Rotalgen Chondrus und Eucheuma genera gewonnen.
Einsatzbereiche: Alle Arten von Carrageenen binden zwar in niedriger Konzentration – zum Gelieren eignen sie sich also nicht –, verleihen aber als Verdickungsmittel Cremen, Frischkäse, Joghurt sowie insbesondere Eis eine besonders cremige Textur.

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