So erobert die Sterneküche das Weltall

Völlig losgelöst von der Erde: Essen im All ist eine hochkomplizierte Angelegenheit, bei der das Fachwissen aus der Sterneküche immer gefragter wird.
November 6, 2025 | Text: Lucas Palm | Fotos: Unsplash - Alex Shuper, Rolling Pin - made with AI, ESA, Groupe Pic

Die Sache ist schon kompliziert genug: Unser Essen soll nicht nur schmecken. Es soll auch nährstoffreich sein und moralisch-ethische Grundsätze erfüllen, die von Regionalität über Transparenz bis hin zur Rettung des Planeten reichen. Die große Bedeutung, die wir unserem Essen beimessen, macht mittlerweile auch vor dem Weltall nicht Halt.

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Die Sache ist schon kompliziert genug: Unser Essen soll nicht nur schmecken. Es soll auch nährstoffreich sein und moralisch-ethische Grundsätze erfüllen, die von Regionalität über Transparenz bis hin zur Rettung des Planeten reichen. Die große Bedeutung, die wir unserem Essen beimessen, macht mittlerweile auch vor dem Weltall nicht Halt.

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Das bedeutet aber: Dort ist es in Sachen Ernährung noch komplizierter als hier unten. Denn im All muss das Essen nicht nur schmecken, nährstoffreich und moralisch-ethisch einwandfrei sein – es unterliegt zusätzlich einer rigiden Logistik, die eigentlich für jeden Koch die reinste Zumutung ist. Man stelle sich vor: HACCP-Richtlinien, die in astronomische Ausmaße hochpotenziert werden, Verpackungsvorschriften Ende nie, Nährstoffanalysen bis zum Umfallen – und ästhetische Ansprüche, die wiederum alle über Bord geschmissen werden müssen.

Zu alledem gleich mehr – aber zunächst die Frage: Warum tun sich mittlerweile renommierte Köche so etwas an? Die Frage ist relevanter denn je: Denn die Weltraumfahrt, in die durch Multimilliardäre à la Jeff Bezos und Elon Musk ungeahnte Summen Geld hineingebuttert wird, hat das Essen für sich entdeckt.

So sehr, dass immer öfter Sterneköchinnen und Sterneköche engagiert werden, um für Astronauten im Weltraum zu kochen. Ganz nach dem Motto: Die Besten für das Beste. Neuestes Beispiel: Anne-Sophie Pic, jene Frau mit den meisten Michelin-Sternen weltweit und Hausherrin des legendären Dreisterners „Pic“ im französischen Valence.

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Gegen Plastik ist im All noch kein Kraut gewachsen – zumindest, wenn’s um die rigiden Hygienevorschriften rund ums Essen geht: Ob gefriergetrocknet, flüssig oder als Pulverform – an die Vakuumverpackungen reichen nur die Dosen ran.

In Zusammenarbeit mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA (European Space Agency) versorgt Pic ihre Landsfrau, die Astronautin Sophie Adenot, mit einem sogenannten „Bonus Meal“.

Bedeutet: Auf der ISS, also der Internationalen Raumfahrtstation rund 400 Kilometer über unserer Erde, werden im kommenden Jahr im Rahmen der Weltraummission namens „Epsilon“ Gerichte wie Foie-gras-Creme auf gerösteter Brioche mit kandierter Zitrone oder Hummerbisque mit Krabben und Kümmel serviert.

Was heißt das genau? Und hat die Art und Weise, wie Essen neuerdings im Weltraum verstanden wird, relevante Auswirkungen auf unser Essen auf der Erde?

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Nein, es muss ja nicht gleich Blut sein, aber: Elementare Mikronährstoffe wie etwa Eisen müssen Astronauten möglichst sicher verpackt und leicht konsumierbar zu sich nehmen können.

Kein Salz – aber viel Vitamin D

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Nein, natürlich ernähren sich Astronauten neuerdings nicht ausschließlich von Sterneküche. Auf Weltraummissionen besteht das Essen zum allergrößten Teil aus allerhand Gefriergetrocknetem.

Der Grund: Frische Zutaten verderben im All schnell, und es fehlt an Platz, Kühlung und Schwerkraft, um sie sicher zu lagern und zuzubereiten. Nur wenn – und das kommt selten vor – ein neues Raumschiff mit frischen Vorräten zu einer Raumfahrtstation wie die ISS kommt, können in den Tagen danach einigermaßen frische Lebensmittel gegessen werden.

Für engagierte Köche bietet das Kochen für das Weltall einen großen Mehrwert: Gerade bei Weltraum-Missionen wird an den großen ernährungsphysiologischen Zusammenhängen unserer Zeit geforscht.

Die Sache nun folgende: Etwa jede zehnte Mahlzeit eines Astronauten im All ist ein sogenanntes „Bonus Food“ eines Crew-Mitglieds. Diese Gerichte werden üblicherweise in Zusammenarbeit mit einem Koch entwickelt. Laut ESA steigern solche Gerichte das geistige Wohlbefinden einer Crew, weil es für Abwechslung sorgt und hilft, nicht nur eine Verbindung zur Erde, sondern auch zu den anderen Crewmitgliedern herzustellen – einfach, indem man bewusst gemeinsam isst.

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Als sogenanntes „Bonus Food“ bezeichnet man bei der Europäischen Weltraumorganisation jede zehnte Mahlzeit eines Astronauten. Diese ist meist ein Menü – und wird von einem (Sterne-)Koch konzipiert und hergestellt.

Der deutsche Spitzenkoch Harald Wohlfahrt von der legendären Traube Tonbach in Baiersbronn war im deutschsprachigen Raum vor rund 15 Jahren einer der ersten Sterneköche, die Essen für Weltraummissionen mitentwickelten.

Noch bevor es ans Verpacken und all die logistischen Herausforderungen ging, sprach Wohlfahrt von seinen ersten Erkenntnissen nach den Schulungen bei der ESA: So sei der Geschmackssinn im All etwa geschwächt, weswegen man auf starke Gewürze zurückgreifen müsse – mit Ausnahme von Salz, das im All den Knochenabbau beschleunige.

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Die französische ESA-­Astronautin Sophie Adenot wünschte sich für ihre Weltraummission im kommenden Jahr ein Menü ihrer Landsfrau Anne Sophie-Pic, der Köchin mit den weltweit meisten Michelin-Sternen.

Apropos Salz und Gewürze: Einfach so lose über das Essen gestreute Gewürze oder Kräuter wären an Bord eines Raumschiffs ein großes Pro­blem: Es würde sich aufgrund der Schwerelosigkeit im All von der ­Oberfläche loslösen, im Raum herum­schwirren, so in die Zwischenräume der vielen Geräte geraten und dadurch möglicherweise Notsituationen verursachen.

„Alle Lebensmittel, die zur Internationalen Raumstation geliefert werden, müssen krümelfrei und leichtgewichtig sein und mindestens 24 Monate haltbar bleiben“, heißt es von der ESA. Die meisten Mahlzeiten werden aus einem von den Raumfahrt­agenturen bereitgestellten Sortiment entweder in Dosen, vakuumverpackt oder gefriergetrocknet geliefert.

Und genau hier wird es für eine Anne-Sophie Pic besonders spannend.

Grenzenlose Gastronomie im All

Jeder Zubereitungsprozess wird hinterfragt, optimiert – ohne den Anspruch aufzugeben, Astronauten dieses besondere Erlebnis zu verschaffen, etwas qualitativ und handwerklich Hochwertiges zu sich zu nehmen.

„Kochen für den Weltraum bedeutet, die Grenzen der Gastronomie zu erweitern“, weiß Anne-Sophie Pic mittlerweile. „Mit meinem Team in meinem Forschungs- und Entwicklungslabor haben wir eine aufregende Herausforderung angenommen: das Gefühl des Geschmacks trotz extremer technischer Einschränkungen zu bewahren.“

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So unromantisch die Verpackung eines Gerichts an der Internationalen Raumfahrtstation auch sein mag: Der Inhalt ist für die Crewmitglieder auch Seelennahrung

Für engagierte Köchinnen und Köche haben solche Engagements einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert: Laut dem Nasa Nutrition Book, eine Art Ernährungsratgeber im All, werden gerade im Rahmen solcher Missionen an den großen ernährungsphysiologischen Zusammenhängen unserer Zeit geforscht: An den Schnittstellen zwischen Knochengesundheit, Bewegung und Ernährung etwa, am Einfluss des Essens auf die psychische Gesundheit oder am Zusammenspiel zwischen individuellem Stoffwechsel und Muskel­aufbau.

Davon können engagierte Köchinnen und Köche in Zukunft durchaus profitieren: Schließlich war gesundes Essen noch nie so wichtig, wie heute. Gerade in der Sternegastronomie, die auch in Zukunft relevant bleiben möchte.

Ganz gleich, auf welchem Planeten.

 

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