Dr. Badass: Weingrooves, die den Gaumen zum Shaken bringen!

Diese Mal lädt uns Dr. Badass & Top-Sommelier aus dem 2-Sterne-Restaurant Tantris Justin Leone ein, mit ihm Wein zu „hören“.
September 28, 2015 | Fotos: Mike Krueger

Es schaut ganz so aus, dass bei jedem Interview, das ich gebe, Musik ein immer wiederkehrendes Thema ist. Irgendwie auch logisch, hat sie ja in meiner Vergangenheit auch eine unglaublich große Rolle gespielt. Doch all die Stunden, die ich im universitären Konservatorium verbracht habe, Harmonieschulung absolvierte, Symphonien in Kompositionsklassen zerpflückte und komplexe Akkordabläufe analysierte, haben aus mir auch keinen Weltklasse-Kontrabassisten gemacht. Es hat mir aber in jedem Fall ermöglicht, meinen Badass-Zugang in puncto Weinverständnis zu entwickeln. Und das kannst du auch…

Justin Leone
Es schaut ganz so aus, dass bei jedem Interview, das ich gebe, Musik ein immer wiederkehrendes Thema ist. Irgendwie auch logisch, hat sie ja in meiner Vergangenheit auch eine unglaublich große Rolle gespielt. Doch all die Stunden, die ich im universitären Konservatorium verbracht habe, Harmonieschulung absolvierte, Symphonien in Kompositionsklassen zerpflückte und komplexe Akkordabläufe analysierte, haben aus mir auch keinen Weltklasse-Kontrabassisten gemacht. Es hat mir aber in jedem Fall ermöglicht, meinen Badass-Zugang in puncto Weinverständnis zu entwickeln. Und das kannst du auch! Und für den Fall, dass du nicht weißt, wo du beginnen sollst, vergiss für eine Minute den chemischen und geologischen Bullshit, und betrachte die Sache als etwas, was wir alle lieben: Musik. Löse dich kurz von deiner Skepsis und begleite mich durch den Prozess, Wein zu „hören“.

Melodie
Das ist normalerweise das Erste, was man an einem Song erkennt. Ist er eine traurige Ballade, ein Klagelied, eine freudvolle Ode zur Liebe oder ein schmutziger Rock-Kracher. Nehmen wir mal an, das Ganze sei die Personality des Weins. Ist er also ein gesetzter, aber wunderbarer Chianti mit knackiger Säure sowie heller Frucht, gleich einem Akustikgitarren- und Crash-Cymbal-getriebenen Sting-Klassiker? Oder ist er eher dunkler und grüblerisch, quasi eine flüssige Form eines Tool-Songs? Makabre Texte, die die Zunge wie die Tannine eines pechschwarzen Tannat der Domaine Arretxea kitzeln. Oder ist er verführerisch und sexy, mit Kurven, die wie Carlos Santanas lüsterne Licks den Tango eines 1970er-Vega-Sicilia auf deiner Zunge tanzen? Oder vielleicht verschroben, mit griffigen Vocals von Indie-Darling Modest Mouse, der nervös auf dem Gaumen navigiert, wie ein New-Wave-Grüner-Veltliner von Pichler-Krutzler. Vertraut, aber irgendwie auch frisch und unvorhersehbar.

Harmonie
Nachdem wir nun also eine Melodie im Kopf haben und eine Persönlichkeit auf der Zunge, bemerken wir erst das andere Zeugs. All die anderen Stimmen, die die Melodie begleiten, addieren einen satten wie vollen Charakter zum Klang wie auch zum Wein. Das ergibt für mich die Balance des Weins selbst. Stell dir nur vor, die Background-Vocals wären lauter. Etwa wie die Leadstimme. Schräg, fürwahr. Das wäre so ähnlich, wie wenn der Nebendarsteller Eichenfass auf einmal beschließt, die Hauptrolle zu übernehmen, und so die arme Melodie des Weins irgendwo backstage zurücklässt. Wir sind doch nicht zehn Stunden in einer Schlange gestanden, um dann diesen Typen zu hören! Oder wenn die Säure, also der Drummer, beschließt, jede Crash Cymbal, die er hat, zu schlagen, oder den Beat nicht halten will, verliert der Song auch den Spirit. Entweder sauer und laut in den Ohren oder flach und unaufregend. Wenn das Tannin, also der Bass, viel zu laut (grün) ist, zerstört er die Schönheit der Komposition und somit alle Komplexität.

Instrumentierung
Hast du Tickets für ein ausgewachsenes symphonisches Erlebnis gekauft? Mit Ins­trumenten, die du nicht einmal identifizieren kannst (etwa Trauben wie Neherleschol, Tchilar oder Khondorni) und die alle zusammenkommen, um eine abgefahrene Darbietung eines Languedoc-Terroirs wie den Mas de Daumas Gassac zu performen? Oder vielleicht lieber eine vertrautere Krawalltruppe an Countryboys, die eine Kakophonie aus Banjos, Akkordeons, Steel Guitars und Waschbrettern fabrizieren. Ganz so wie die Mitglieder des originalen 13-traubigen Châteauneuf du Pape des Chateau la Nerthe. Oder vielleicht ganz einfach eine faszinierende Solo-Vorstellung von Andrea Bocelli, der wie ein J.-F.-Mugnier-Musigny-Grand-Cru mit all seiner Emotion und Komplexität alle Herzen bricht.

Dynamik
An einem bestimmten Punkt großer Kompositionen gibt es stets ein dramatisches Crescendo und folglich einen Höhepunkt. Dein Wein sollte dasselbe zustande bringen, wenn du die richtigen Entscheidungen getroffen hast. Du den richtigen Jahrgang gewählt und ihm nach dem Öffnen genug Zeit zum Dekantieren gegeben hast. Wenn dann der Höhepunkt kommt, wie fühlt er sich an? Gedämpft, leise und zurückhaltend wie eine Chopin-Etüde oder bombastisch wie Gustav Holsts „The Planets“? Steigert er sich statisch wie Ritchie Hawtons Minimal-Techno oder unberechenbar wie Brian Wilsons „Smile“?

Textur
So wie in der Musik auch ist die Textur das mit Abstand unterbewerteste Element eines Weins. Sprechen wir etwa von einem dicken, fetten Groove? So wie George Clintons Parliament Funkadelics ihn raushauen, während sie an einem Harvey’s Basket Pres Shiraz von Rockford Wines, Barossa nippen würden? Oder eher von einem luftigen, freien Raumwunder à la Radioheads „Airbag“, das noch lange im Gedächtnis nachhallt und die unmöglich erscheinende Eleganz eines Schäfer-Fröhlich-Rieslings hat?

Genre
Leicht: Ist der Wein barock oder ultramodern? Eine Mozart-Sinfonietta oder eine Queen-Live-Performance im Wembley-Stadion? Die konservativen wie auch perfekten Zeilen eines Mascarello Barolo, alle filigran, aber doch kontroversiell. Oder Freddie Mercurys unerschrockener Song „Flash“, während er sich an ein Glas von Peter Michaels „Point Rouge“ klammert. Im Bewusstsein seiner klassischen Ausbildung und ob seiner umwerfenden Opulenz doch keinen Augenblick verschämt.

Temperatur
Damit meine ich natürlich auch tatsächliche Wärme, aber aus musikalischer Hinsicht geht es vor allem ums Timbre. Wie der Ton eines Songs, der berührt. Eisige Albarino-Kühle wie Björks „All is full of love“ oder durch einen Chave Hermitage Blanc wie Counting Crows „Hard Candy“ in eine warme Sommerbrise eingehüllt? Der Au-naturel-Charme von Kurt Cobains MTV-Unplugged-Performance mit einem Glas von Pierre Overnoy Arbois oder die brutale Präzision eines Nine-Inch-Nails-Elektronik-Stücks, die deinen Dagueneau Silex begleitet? Doch ganz egal, ob mild oder schmutzig, hell oder durchdringend: Jeder Wein hat seine Zeit und jeder Moment hat seinen Soundtrack.
Also, belehre mich eines Besseren. Öffne einige deiner liebsten Flaschen und versichere dich, dass dein iPod gut bestückt ist. Du wirst erstaunt sein, wie gut deine Ohren bereits wissen, was für ein Wein-Genie du schon bist.

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