Woher kommt eigentlich das Raclette?
Wenn der Käse glänzt, zischt und sich in cremigen Strömen über Kartoffeln ergießt, scheint nur eine Frage wichtig: „Noch ein Pfännchen?“ Dabei steckt hinter dem Schweizer Winterklassiker eine Entstehungsgeschichte, die älter ist als die meisten Alpenhütten – und spannender, als man bei geschmolzenem Käse vermuten würde.

Wenn der Käse glänzt, zischt und sich in cremigen Strömen über Kartoffeln ergießt, scheint nur eine Frage wichtig: „Noch ein Pfännchen?“ Dabei steckt hinter dem Schweizer Winterklassiker eine Entstehungsgeschichte, die älter ist als die meisten Alpenhütten – und spannender, als man bei geschmolzenem Käse vermuten würde.

Der Ursprung: Ein Happy Accident in den Alpen?
Die Schweiz reklamierte schon immer gern das Monopol auf alles, was mit Käse zu tun hat. Doch beim Raclette ist die Herkunft tatsächlich so klar wie eine Gebirgsquelle: Das Wallis gilt als Wiege des Originals. Dort erzählt man sich, dass Hirten bereits im Mittelalter ihr Brot und ihre Käsevorräte am offenen Feuer wärmten – so lange, bis der Käse zu schmelzen begann. Der Rest ist kulinarische Geschichte.
Wer genau der erste Mensch war, der dachte: „Hm, das könnte man doch über Kartoffeln schaben“, ist nicht überliefert. Wahrscheinlich war es keiner – und gleichzeitig alle: hungrige Hirten, die Kälte, ein Feuer und ein Laib Halbhartkäse. Manchmal braucht es nicht mehr für eine gastronomische Erfindung, die Jahrhunderte überdauert.

Vom Hirtenessen zur Marke
Richtig Fahrt nahm das Gericht allerdings erst auf, als im 19. Jahrhundert die ersten Touristen ins Wallis kamen. Die lokalen Winzer servierten den geschmolzenen Käse zu Weißwein, die Gäste waren begeistert – und Raclette wurde zum Markenbegriff, der heute weltweit geschützt ist.
Der Name leitet sich übrigens vom französischen racler ab – „abschaben“. Es dauerte also einige Jahrhunderte, bis jemand merkte: Das Ding braucht einen Namen. Und dieser sollte so simpel und praxisnah wie möglich sein.
Raclette im 20. Jahrhundert: Eine elektrische Erfolgsgeschichte
Was wäre unser heutiger Winter ohne das Tischgerät mit Pfännchen? Erst in den 1950er- und 60er-Jahren begann der technische Siegeszug des Raclette-Ofens, der das Gericht vom offenen Feuer in Europas Wohnzimmer brachte. Damit wurde Raclette vom rustikalen Walliser Hirtenessen zum Winterritual, zu einem halben Gesellschaftsspiel, bei dem jeder sein Pfännchen individuell bestücken kann – Demokratisierung durch Käse, quasi.

Warum wir Raclette heute so lieben
Raclette ist kein Gericht – es ist eine Situation. Eine kulinarische Mikro-Community, die am Tisch entsteht. Es ist der seltene Moment, in dem alle gleichzeitig etwas Ungleichzeitiges tun: warten, schmelzen, reden, essen, wieder warten. Die Kombination aus Gemütlichkeit, Geruch und Ritual macht das Raclette zum unbestrittenen Sozialkatalysator langer Winterabende.
Und vielleicht ist das der wahre Erfinder des Raclettes: nicht eine Person, sondern eine Stimmung. Der Wunsch nach Wärme, Gemeinschaft – und der Erkenntnis, dass geschmolzener Käse fast alles besser macht.
Wer das Raclette erfunden hat? Vermutlich niemand, dem wir heute einen Denkmalplatz geben könnten. Aber die Walliser Hirten haben den Grundstein gelegt, die Touristen haben es popularisiert, und die Elektroindustrie hat es endgültig kultfähig gemacht.
Und so bleibt das Raclette das, was es schon immer war: ein winterliches Wunder, das im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu entdeckt wurde – und eigentlich immer zur richtigen Zeit kommt.