Tian-Sommelier André Drechsel: Mit Naturweinen zu einer der besten Weinkarten des Landes

André Drechsel fand seine Berufung Mitte 30. Zu einem Zeitpunkt, wenn andere die Branche verlassen. Der Vorarlberger Sommelier rückte lieber eine ganze Weinstilistik, die Naturweine, ins fleischlos besternte Rampenlicht.
Juni 17, 2021 | Text: Noel Gonzalez | Fotos: Ingo Pertramer

Diesmal war es mit Motörhead. Gerade als Ian „Lemmy“ Kilmister die ganze Pracht seines Lungenvolumens unter Beweis stellte, beschloss der vollbärtige Mann mit Dandy-Mütze und kariertem Gilet: „Den Karfiol vom Paul verheirate ich mit dem Grünen Veltliner Ried Ungerberg vom Hannes Schuster (Anm., Weingut Rosi Schuster).“

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André Drechsel liebt englische Mode und Musik. Die Gastronomie hat ihm dort weniger zugesagt. Zum Glück, sonst würde der Vorarlberger jetzt nicht im Tian in Wien mit einer der besten Naturweinkarten des Landes herumwacheln.

Der leicht headbangende Typ mit den alles andere als schalldichten Kopfhörern über seinem PC auf Tisch drei im leeren Sternelokal ist André Drechsel. Er ist Gastgeber und Chefsommelier im Tian Restaurant in Wien, dem einzigen vegetarischen Sternerestaurant Österreichs. Seit 2018 glänzt der gebürtige Vorarlberger an der Seite des Tirolers Paul Ivić, der im Tian in Wien und München und im Bistro zeigt, dass Essen ohne Fleisch superspannend sein kann.

Diesmal war es mit Motörhead. Gerade als Ian „Lemmy“ Kilmister die ganze Pracht seines Lungenvolumens unter Beweis stellte, beschloss der vollbärtige Mann mit Dandy-Mütze und kariertem Gilet: „Den Karfiol vom Paul verheirate ich mit dem Grünen Veltliner Ried Ungerberg vom Hannes Schuster (Anm., Weingut Rosi Schuster).“

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André Drechsel liebt englische Mode und Musik. Die Gastronomie hat ihm dort weniger zugesagt. Zum Glück, sonst würde der Vorarlberger jetzt nicht im Tian in Wien mit einer der besten Naturweinkarten des Landes herumwacheln.

Der leicht headbangende Typ mit den alles andere als schalldichten Kopfhörern über seinem PC auf Tisch drei im leeren Sternelokal ist André Drechsel. Er ist Gastgeber und Chefsommelier im Tian Restaurant in Wien, dem einzigen vegetarischen Sternerestaurant Österreichs. Seit 2018 glänzt der gebürtige Vorarlberger an der Seite des Tirolers Paul Ivić, der im Tian in Wien und München und im Bistro zeigt, dass Essen ohne Fleisch superspannend sein kann.

Dass der Wein im Lokal dem in nichts nachsteht, das ist Drechsels Job. In ihm fand Ivić den richtigen Mann für die Weinagenden im Tian. Nur der biss nicht gleich an. Ivić musste oft im Salonplafond in Wien, das damals noch Tim Mälzer betrieb, essen gehen, um den damaligen dort umherwirbelnden Restaurantleiter Drechsel für sich zu gewinnen. „Paul sagt, ich bin wie ein kleiner dicker Thunfisch, den muss man auch zuerst müde machen, bevor man ihn an Land ziehen kann.“ Steter Tropfen höhlt den Stein, und jetzt könnte der 42-jährige Drechsel nicht glücklicher sein über die Hartnäckigkeit seines inzwischen zum Freund gewordenen Kochkollegen. „Ich wollte nie mehr zurück ins Fine Dining“, sagt Drechsel heute. Im Tian fand er eine Spielwiese, auf der er Fine Dining für sich neu definieren konnte. „Ich war immer schon ein kleiner Punk-Rebell“, sagt Drechsel. Die Gastronomie habe sich zu seinem Glück in seine Richtung entwickelt. Devotes Getue, Lappalien wie Positionen von Brottellern und die ewig gleichen Weine auf den Karten sind Qualität, Authentizität und Witz gewichen.

Ob da wer tattooübersät ist oder nicht, ist zweitrangig. Ein Vorteil für André Drechsel, der schon in seiner Zeit während des Pre-Openings des Le Méridien in Wien ganz schön zu tun hatte, seinen Körperschmuck vor den Gästen nahe der Oper zu verstecken. „Wer sagt, was wir anziehen sollen? Wer sagt, was wir servieren sollen?“ Im Tian sagt das niemand. Drechsel und sein Team wollen einfach, „dass der Gast einen geilen Abend verbringt“. Und da gehören guter Wein und eine durchdachte Weinbegleitung dazu. Denn nur weil Coolness und Natural jetzt angesagt sind, heißt das noch lange nicht, dass die Basics fehlen dürfen. Weine aus Spanien, Frankreich und die Raw in Berlin (Anm., Natural-Wein-Messe) sind für Drechsel jedenfalls hinter Besuchen in heimischen Weingütern und Mithilfe bei der Ernte anzustellen.

Naturweine sind alles andere als Stinkig und trüb.
Sie sind eine Weltanschauung. André Drechsel über den Zauber von Natur und Trinken

Auf ebendiesen Touren durch die Rebzeilen und dem darauffolgenden Verkosten der Weine ist dem Vorarlberger zum Beispiel auch aufgefallen, dass Naturweine ihm zusagen, ebenso wie der Küche im Tian. „Naturweine sind nicht trüb und stinkig“, stellt Drechsel dabei sofort vehement klar. Für ihn sind Naturweine Weine, die ohne Chemie wie Glyphosat oder chemischen Säureabbau entstehen. Weine, die zum richtigen Zeitpunkt gelesen und gefüllt werden. Für Winzer ist das eine Weltanschauung, die sie gar nicht großartig kundtun.

Denn dass auch weltweit gesuchte Weine wie Romanée Conti oder Echezeaux nach diesen Regeln entstehen, wissen die wenigsten. Was zählt, ist, dass die Weine gut sind. Wie die Weine von Hannes Schuster oder auch Claus Preisinger sowie von González Lichtenberger. Dort wird man plumpe Aromen und trübe Suppen ebenso vergeblich suchen.

Sex ist subjektiv

Genauso wie Etiketten, auf denen „Sexy Mother Fucker“ draufsteht. Die gäbe es zwar bestimmt auf der Raw in Berlin zu finden, und wenn der Inhalt stimmt, sei dagegen auch nichts einzuwenden, aber nur des coolen Spruchs wegen kaufe ein guter Sommelier eben nicht, sagt Drechsel. Davon abgesehen gibt es wenig Regeln im Weinservice des Tian.

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Von blinkenden Etiketten lässt sich André Drechsel, Chefsommelier des Tian Restaurants in Wien, nicht blenden

Und gleichzeitig viele. Laissez-faire, und dabei professionell und wertschätzend, das steht über allem. „Wenn der Gast nach einem säurearmen Weißwein verlangt, kann ich ihm keinen säureintensiven Rotwein vorsetzen“, sagt Drechsel. Abgesehen von diesen Grundregeln begeben sich die Gäste im Tian gerne in seine Hände. „Essen, Trinken und Sex, das ist doch subjektiv. Das ist alles Leidenschaft.“ Das sei auch das Geile am Sommelier-Job, man formt Restaurant-Erfahrungen. Man lernt Tausende Menschen kennen. „Wenn diese zu dir kommen, weil sie von dir und deiner Weinkarte gehört haben, dann hat man etwas richtig gemacht.“ Monoton wie ein Controller-Job ist da nichts. Ob die Weinempfehlung mit Motörhead oder auch zu Maya Jane Coles entstanden ist, ist letztendlich egal. Und wo der Brotteller liegt, interessiert sowieso nicht.

www.tian-restaurant.com

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