Dr. Badass: Champagnerarroganz vs. Bier-Dosenbudget

Justin Leone in der ROLLING PIN-Sprechstunde über Wein, Weib und Unwägbarkeiten des Lebens. Diesmal: Das Wein-Hipster-Anti-Snob-Paradoxon, Teil 2
Januar 20, 2016 | Fotos: Mike Krueger

Sommelier Justin Leone

Vom falschen Verständnis für Luxus

Wie ich schon in Teil eins dieser Kolumne geschrieben habe, manifestieren Bücher wie „Wein für Dummies“ eine große Unsicherheit bei Möchtegern-Weinliebhabern und verdammen das Fehlen von Wissen als etwas Dummes, Geiziges, Beschämendes. Statt dass hier Leute auf eine aufregende Reise eingeladen werden, für die sie angeblich nicht geeignet sind. Das ist gleichermaßen unfair wie auch unproduktiv. Dieser Welt würde es wirklich guttun, wenn die Verdummung etwas abnehmen und die Smartheit wieder zunehmen würde…

Sommelier Justin Leone

Vom falschen Verständnis für Luxus

Wie ich schon in Teil eins dieser Kolumne geschrieben habe, manifestieren Bücher wie „Wein für Dummies“ eine große Unsicherheit bei Möchtegern-Weinliebhabern und verdammen das Fehlen von Wissen als etwas Dummes, Geiziges, Beschämendes. Statt dass hier Leute auf eine aufregende Reise eingeladen werden, für die sie angeblich nicht geeignet sind. Das ist gleichermaßen unfair wie auch unproduktiv. Dieser Welt würde es wirklich guttun, wenn die Verdummung etwas abnehmen und die Smartheit wieder zunehmen würde. Zu behaupten, dass eine Weinausbildung die Voraussetzung ist, um wahre Größe zu erkennen, ist der gleiche Unfug, wie anzunehmen, dass man ohne ein Design-Diplom den Luxus eines Savile-Row-Maß-anzugs nicht wertschätzen könne. Handgeschnitten, genäht und aus den feinsten Stoffen angefertigt.
Aber eigentlich sollten wir doch alle sowieso einen kastenförmigen, schlecht sitzenden H&M-Stangenanzug tragen, weil er genau unserem „Level“ entspricht. Zumindest die kommenden drei Monate, bis er letztendlich auseinanderfällt. So sollte man auch davon ausgehen, dass unter diesem Aspekt McDonald’s an der Spitze der kulinarischen Errungenschaften anzusiedeln ist. Denn geht man von den Milliarden an zuckerbeladenen chemischen Burgern aus, die der globale Konzern verhökert, zeugt das doch bestimmt von Qualität, oder? Wie Britney Spears durch ihre Platinerfolge selbstverständlich ebenfalls in einer Reihe mit Freddie Mercury, Johann Sebastian Bach oder John Col-trane zu sehen ist. Oh, und das Restaurant mit den dummen Sternen? Wahrscheinlich auch nichts wert. Ohnehin nur der gleiche Schrott wie die Bifi-Sticks an der nächsten Tankstelle, nur eben viel teurer. Richtig. Zumindest hat die natürliche Selektion nichts ahnende Mitarbeiter vor der Frustration gerettet, Besteck zu finden, das mit opponierbaren Daumenkrallen funktioniert.
Nehmen wir nur mal den Kommentar eines Londoner Immobilienmaklers zu Werken wie „Wein für Dummies“: „Hervorragend. Danke dafür. Ich liebe Wein und hasse Weininstitutionen. Nun werde ich mir nie mehr bei einem Sommelier Rat holen.“ Welch stolze Aussage puren Wahnsinns. Welcher Sommelier hat denn diesem Menschen so übel mitgespielt? Setz dich auf die Couch und sprich drauf los, Freund! Es wird Zeit, wieder zu vertrauen. Wir sind da, um zu helfen. Und auch wenn manche unter uns selbstgefällige Arschlöcher sind, die meisten sind es nicht!
Oder Aussagen wie: „Je älter wir werden, desto mehr schätzen wir trockenere Weine. Drum kauf ich den billigsten Cabernet, den ich finden kann.“ Es tut mir leid, deine Seifenblase zu zerstören, Mister, aber je billiger dein Cabernet, desto eher ist er mit Restzucker vollgestopft. Zucker ist die Katzenminze für die Massen, ob in McDonald’s-Burgern, Heinz-Ketchup oder eben Schnäppchen-Cabernets. Und wenn du mit trocken „vollgerammelt mit Chemikalien, Pestiziden, Industrieabfall und Konservierungsstoffen, sodass die Gewebezellen im Mund reihenweise tot umfallen“ meinst, dann hast du vielleicht recht. Diese investierten paar Extra-Euros über dem 2,80-Euro-Schnitt zahlen sich bestimmt aus. Glaub mir.
Oder nehmen wir das Beispiel der gehorsamen Hausfrau, die ihren geizigen, niveaulosen und offensichtlich vor Machismus strotzenden Ehegatten tagtäglich bedient. „Mein chilenischer Mann sagt, dass überhaupt kein Grund besteht, für eine Flasche Wein mehr als acht Euro auszugeben.“ Natürlich bin auch ich bei Budgets sensibel und glaube, dass es besser ist Weine zu trinken, bei denen man beim Kauf ein gutes Gefühl hat, um diese dann auch in einer gewissen Regelmäßigkeit zu konsumieren. Aber wenn man bei Eltern wie den meinen aufgewachsen ist, wurde Wein einfach als Würzmittel zwischen Salzstreuer und Ketchupflasche aufgestellt. Ich versteh das. Aber werde zumindest erwachsen und erkenne, dass große Weine einen Platz unter den großartigsten Produkten der Menschheit verdienen. Wenn auch nicht auf der Linoleum-Tischplatte zu Hause, im Trailerpark. In Kentucky.
Ich kann die Attacken an meinen geliebten Wein schwer verarbeiten. Ein rücksichtsloses Gemetzel, durch das kommunale Grand-Cru-Gräber zurückbleiben und keine Gefangenen genommen werden. Und die Leute glauben auch noch an die Lügen, richten sich gegen jede brillante, intellektuelle, kreative und ins-pirierende Flasche mit einem zweistelligen Preisschild, als ob sie eine Pistole an ihrem Kopf hätten. Und warum? Menschen fürchten sich vor dem, was sie nicht verstehen. Aber wir dürfen diesem Verrat nicht klein beigeben. Vergesst „Wein für Dummies“, die Beleidigungen und Unsicherheiten. Zeit, sich aufzuschlauen, nicht zu verblöden. Das ist ein Aufruf, sich intellektuell zu bewaffnen, gegen ein Meer an Ungläubigkeit und Dummheit. Und sollten die Dämme brechen und Mittelmäßigkeit sich durchsetzen, dann ruf ich euch laut zu: umso mehr großartiger Wein für uns!

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