Gourmetkritiker erkennen

Dem Te(s)ter auf der Spur: Meist agiert er anonym, nur zu gern will man ihn entlarven.Der Gourmetkritiker, das unbekannte Wesen. Welche Signale Gäste überaus verdächtig machen, haben wir für Sie herausgefunden. Ein „Täterprofil“.
November 13, 2015

Fotos: Werner Krug, beigestellt

Ein Herr gesetzteren Alters und von stattlicher Statur, eine Wirtschaftszeitung unter dem Arm, Block und Stift in der Hand? Nun gut, selbst detektivische Nackedeis können in diesem Fall mit der Überführung des „Täters“ prahlen. Aber leider: Dass Gourmetkritiker bloß auf diese Merkmale zu reduzieren sind, ist Kli-Sch(n)ee von gestern. Die Spezies gibt es in allen körperlichen Längen und Breiten vom Spargeltarzan bis zur Urgewalt und ebenso in allen Umgangsformen. Dennoch ist es oft genau jene betonte Unauffälligkeit, die erst recht wieder auffällig macht. Wir haben uns in der Branche nach nicht ganz todernsten Theorien zur Identifizierung (ohne Gewähr!) umgehört.

Er reserviert für zwei und kommt aber allein, weil, wie er beteuert, der Partner krank, anderweitig beschäftigt oder nur kurz mal Zigaretten holen gegangen ist? Sehr verdächtig! Am besten, Sie gehen nach dem Empfang des Gastes gleich nach draußen und checken die Reifen (Michelin?) das…

Fotos: Werner Krug, beigestellt
Ein Herr gesetzteren Alters und von stattlicher Statur, eine Wirtschaftszeitung unter dem Arm, Block und Stift in der Hand? Nun gut, selbst detektivische Nackedeis können in diesem Fall mit der Überführung des „Täters“ prahlen. Aber leider: Dass Gourmetkritiker bloß auf diese Merkmale zu reduzieren sind, ist Kli-Sch(n)ee von gestern. Die Spezies gibt es in allen körperlichen Längen und Breiten vom Spargeltarzan bis zur Urgewalt und ebenso in allen Umgangsformen. Dennoch ist es oft genau jene betonte Unauffälligkeit, die erst recht wieder auffällig macht. Wir haben uns in der Branche nach nicht ganz todernsten Theorien zur Identifizierung (ohne Gewähr!) umgehört.

Er reserviert für zwei und kommt aber allein, weil, wie er beteuert, der Partner krank, anderweitig beschäftigt oder nur kurz mal Zigaretten holen gegangen ist? Sehr verdächtig! Am besten, Sie gehen nach dem Empfang des Gastes gleich nach draußen und checken die Reifen (Michelin?) das …

… Kennzeichen (Karlsruhe?), für Spekulationen sorgen auch Leihautos. Scheuen Sie den Blick auf den Beifahrersitz oder in den Fond nicht. Womöglich hat der Tester in jugendlichem Leichtsinn seinen eigenen Guide oder eine Liste mit den nächsten Stationen seiner kulinarischen Testtour liegen lassen …

Kein Glück gehabt? Dann wieder ran an den Verdächtigen. Fühlen Sie sich eher wie bei einem Verhör? Seine Bestellung und sein spezifisches Nachfragen können darauf hinweisen, „dass er genau wie Sie in der Gastronomie zuhause ist“, sagt Gerhard Retter, Maître im Hotel Adlon in Berlin. Der Kritiker fragt gerne nach Neuem auf der Karte und testet, ob man über die Dinge, die man anbietet, auch Bescheid weiß. Dennoch: So richtig ins Gespräch kommt man nie mit ihm, ein bisschen Smalltalk ja, mehr nicht. Achten Sie auch darauf: Gerne fragt der Profiesser nach offenen Weinen oder nach einer Weinbegleitung, so kann er auch gleich das Agieren des Service beurteilen.

Ist man doch zu zweit (was bei Hobbytestern öfter vorkommt), wird bevorzugt einmal das Menü und einmal à la Carte bestellt, um zudem die Preisgestaltung unter die Lupe zu nehmen. Um die Flexibilität zu testen, wird gerne mal umbestellt. Gefragt sind weniger klassische Gerichte, sondern vielmehr jene, die den Stil des Küchenchefs besonders zur Geltung bringen. Hier gehen die Theorien auseinander – Geschmortes oder Geflügel sind ganz vorne dabei. Es soll auch vorkommen, dass sich Tester durch die Art des Essvorgangs verdächtig machen. „Ich hatte mal einen, der ganz extrem geschmatzt hat und die Gänseleber im Mund bis auf die letzte Geschmacksnote analysiert hat“, schmunzelt Klaus Dolleschall, Restaurantleiter im Aenea in Velden. Übrigens: Sucht er bereits am Anfang des Abends die Toilette auf, kann das durchaus ein dienlicher Hinweis sein – er inspiziert sämtliche Räumlichkeiten, um sich ein Gesamtbild zu verschaffen.

Besonders knifflig wird der Fall, wenn der Tester sich in einer geselligen Runde befindet oder sich ohne Rücksicht auf den Rechnungbetrag weit jenseits eines Dreigangmenüs kreuz und quer durch die Speisekarte isst und auch die ganz großen Weine ordert. Achten Sie auf die Kreditkarte, hier gibt es ebenfalls besonders gängige Modelle. Welche, weiß der Gastronom Ihres Vertrauens – Networking ist nämlich ratsam, kursieren doch Namenslisten der Tester (auch wenn diese unter verschiedenen Namen reservieren). Zudem existiert ein funktionierendes Frühwarnsystem – gibt es ein erhöhtes Testeraufkommen (vor allem zwischen Mai und Mitte September), so tauscht man sich darüber aus. Verdichten sich alle diese Signale dennoch nicht zu einem Indiz, können Sie zumindest rückwirkend aus der veröffentlichten Kritik Infos holen. Welches Amuse-Gueule wurde erwähnt? Hier ist eine Rekonstruktion des Tatzeitpunktes gefragt. Allerdings: Absolute Sicherheit gibt es auch damit nicht.

Gerhard Retter

"In der Spitzengastronomie kursieren Namenslisten,
manche führen ganz genau Buch."

Gerhard Retter Maître, Lorenz Adlon Hotel Adlon, Berlin

>> Im Fall des Falles

Jeder Gast ist ein potenzieller Gourmetkritiker. Konzentrieren Sie sich auf Kontinuität, hüten Sie nicht das beste Stück Fleisch in der „Schublade“, um es im (vermeintlichen) Bedarfsfall in die Pfanne zu werfen. Setzen Sie nicht auf eine Sonderbehandlung – der Tester sieht ja, was auf dem Nebentisch vor sich geht. Eine objektive Meinung gibt es freilich nicht. Der Gourmetkritiker steht wie der Gastronom unter Druck, dass er alles kennen und wissen muss. Bemühen Sie sich einfach, Ihr Hintergrundwissen zu transportieren und Ihr Service-Know-how zur Geltung zu bringen.

Haben Sie einen Tester Ihrer Meinung nach entlarvt, bleiben Sie cool. Wenn auch er sich „ertappt“ fühlt, schauspielern Sie einfach beide perfekt. Nehmen Sie seine Anregungen ernst. Oft sind es einfach hilfreiche Tipps. Wenn ein Hinweis berücksichtigt wird, schlägt sich das manchmal auch im Text der Kritik nieder.Ein Fleischwurm im Seeteufel? Mehr als unangenehm. Retter sieht das so: „Glücklicherweise passierte es bei einem Tester, dank seiner Produktkenntnis wusste er, dass Derartiges vorkommt.“

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