Regional? Fatal!

Wer glaubt, dass Regionalität alleine eine zukunftsträchtige Positionierung ist, sollte sich schleunigst unseren Fakten-Check zu Gemüte führen.
November 13, 2015

Regionalität im Fakten-CheckFotos: Shutterstock, beigestellt

6,1 mio. Ergebnisse liefert google für den Suchbegriff „Restaurant Regional Deutschland“. Mehr Ergebnisse, als die Bibel Buchstaben hat. Das Problem: 99 % der Restaurants machen mit dieser Positionierung gravierende Fehler. Die ließen sich vermeiden.

Zugegeben, nicht hinter jedem der 6,1 Millionen Ergebnisse steckt ein Restaurant. Dennoch werden die inflationären Ausmaße dieses Begriffes deutlich. Fragt man Gastronomen, warum sie diesen Unfug mitmachen, hört man in etwa Folgendes: Ist gerade Trend. Gäste wollen das. Ist umweltfreundlich, wegen kurzer Transportwege. Unterstützt die regionale Wirtschaft. Ist meine Art zu kochen. Was Besseres ist mir nicht eingefallen. Leider fast alles falsch. Entweder voll daneben oder knapp vorbei – was auch daneben ist. Überrascht? Bitte schön: Gehen wir der Sache auf den Grund.

Ist im Trend und meine Gäste wollen das 
Ist im Trend: stimmt – leider. Gegen die Anzahl „regionaler Restaurants“ wirken Dönerbuden wie Oasen in der Wüste. Gäste wollen das? Stimmt aber so gut wie nie. Was Gäste wirklich wollen, ist nicht regional, sondern Lebensmittelsicherheit. Das ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied. Und wurde gerade wieder durch eine Studie bestätigt. Bei Informationen über Lebensmittel trauen Verbraucher fast niemandem mehr. Deshalb bauen sie sich die psychologisch wackelige, regionale Krücke.

Nach dem Motto: Wenn es aus der Nachbarschaft kommt,…

Regionalität im Fakten-CheckFotos: Shutterstock, beigestellt

6,1 mio. Ergebnisse liefert google für den Suchbegriff „Restaurant Regional Deutschland“. Mehr Ergebnisse, als die Bibel Buchstaben hat. Das Problem: 99 % der Restaurants machen mit dieser Positionierung gravierende Fehler. Die ließen sich vermeiden.

Zugegeben, nicht hinter jedem der 6,1 Millionen Ergebnisse steckt ein Restaurant. Dennoch werden die inflationären Ausmaße dieses Begriffes deutlich. Fragt man Gastronomen, warum sie diesen Unfug mitmachen, hört man in etwa Folgendes: Ist gerade Trend. Gäste wollen das. Ist umweltfreundlich, wegen kurzer Transportwege. Unterstützt die regionale Wirtschaft. Ist meine Art zu kochen. Was Besseres ist mir nicht eingefallen. Leider fast alles falsch. Entweder voll daneben oder knapp vorbei – was auch daneben ist. Überrascht? Bitte schön: Gehen wir der Sache auf den Grund.

Ist im Trend und meine Gäste wollen das 
Ist im Trend: stimmt – leider. Gegen die Anzahl „regionaler Restaurants“ wirken Dönerbuden wie Oasen in der Wüste. Gäste wollen das? Stimmt aber so gut wie nie. Was Gäste wirklich wollen, ist nicht regional, sondern Lebensmittelsicherheit. Das ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied. Und wurde gerade wieder durch eine Studie bestätigt. Bei Informationen über Lebensmittel trauen Verbraucher fast niemandem mehr. Deshalb bauen sie sich die psychologisch wackelige, regionale Krücke.

Nach dem Motto: Wenn es aus der Nachbarschaft kommt, sprich, mir irgendwie vertraut ist, gehe ich weniger Risiko ein als bei Importware. Jawohl, das ist nicht mehr als ein Strohhalm und hat mit der Realität nichts zu tun. Aber was sollen die Leute machen? Sie haben ja keine bessere Alternative. Genau hier ist jetzt der Ansatz für den Gastronomen. Statt des schlappen Ersatzstoffes Regionalität muss er das Original Lebensmittelsicherheit liefern. Essen ist Vertrauenssache. Vermitteln Sie Ihren Gästen also, dass Sie die Lebensmittel für Ihre Küche mit größter Sorgfalt ausgewählt haben. Kaufen Sie Demeter-Mehle oder naturgepresste Öle. Nehmen Sie einmal Bio-Fleisch. Veranstalten Sie Kochkurse in Ihrer Küche. Erklären Sie Ihre Gewürze. Schreiben Sie ein Kochbuch. Unterstützen Sie Slow Food … und, und, und. Was auch immer Sie sich ausdenken: Kommunizieren Sie mit Ihren Gästen und bauen Sie sich Ihre eigene persönliche Glaubwürdigkeit auf.

Die eigene Motivation für etwas ist enorm wichtig

hat aber leider erst mal null Gästerelevanz.

Dietmar Spriwald

Umweltfreundlich wegen kurzer Transportwege
Dieser Irrglaube wird gerade sogar von gedanklich flach gestrickten Frauenzeitschriften pulverisiert. Seit einigen Jahren verfolgen Wissenschaftler einen viel umfassenderen Ansatz. Sie ermitteln bei Produkten die Umweltbilanzen „von der Wiege bis zur Bahre“. Da spielen die Herstellung eines Produktes ebenso eine Rolle wie dessen Verpackung, Verwendung, Zubereitung und sogar Entsorgung. Häufiges Ergebnis: Transport macht bei fast allen Produkten nur einen kleinen Bruchteil der gesamten CO2-Bilanz aus.

Viel mehr ins Gewicht fällt unter anderem, wie das Produkt hergestellt wird. Beispiel: Ein ägyptischer Bio-Bauer geht zu Fuß mit der Hacke aufs Feld, kultiviert so seine Bohnen. Vergleich: Ein deutscher Landwirt baut die Bohnen mit 400- PS-Trekker und Düngemitteln an. Einleuchtend, oder? Das Paradebeispiel sind die eingeschifften neuseeländischen Äpfel im März. Die haben eine bessere CO2-Bilanz als deutsche Lagerware. Weil nämlich das Kühllager für die bei uns im Herbst geernteten Äpfel bis dahin viel Energie verbraucht hat. Merke: Regional gleich wenig CO2? Kann sein, kann aber auch nicht. Das hängt vom Einzelfall ab. Wer zuverlässig CO2 sparen will, sollte sich lieber einen neuen Induktionsherd kaufen.

Dietmar SpriwaldUnterstützt die regionale Wirtschaft
Das sollte Ihre letzte Sorge sein. Darum kümmert sich nämlich schon die deutsche Bauernlobby – und zwar nicht schlecht. Unsere Bauern werden mit Zigmillionen Euro an Steuergeldern subventioniert. Würde nur ein Tausendstel davon für die Förderung der Esskultur ausgegeben: Die Jubelschreie der Küchenchefs wären unüberhörbar.  Kurz: Kaufen Sie beim Bauern um die Ecke, wenn er Ihnen besseren Service oder einen besseren Preis bietet.

Oder weil er besondere Gemüsesorten kultiviert, mit denen Sie sich differenzieren können. Was übrigens auch mal gesagt werden sollte: Deutschland ist die drittstärkste Exportnation der Welt. Wir sind als Land so wohlhabend, weil woanders auf dem Globus Menschen unseren Kram kaufen – insbesondere das europäische Ausland. In der Eurozone bereitet unsere starke Wirtschaft den anderen Ökonomien sogar Riesenprobleme. Wenn wir aber woanders munter verkaufen dürfen, sollten wir zu Hause nicht einen auf „kauft national und regional“ machen.

Ist meine Art zu kochen
Die eigene Motivation für etwas ist enorm wichtig, hat aber leider erst mal null Gästerelevanz. Noch grenzt sie Sie von den Heerscharen anderer Regionalköche ab. Überspitzt ausgedrückt: Eine Karte mit Zander vom Hausteich oder Grünkohl im Winter reicht nicht aus, um irgendwas zu reißen. Und wer seine Positionierung als „regionale Küche“ komplett in die Tonne treten will, hat dazu noch Mozzarella, Wagyu-Beef, eine Bouillabaisse oder Pasta für die kleinen Gäste. Alles da, alles gesehen und zwar massenhaft.

Regionale Küche – aber richtig 
Ebenso wie Sprache, Musik oder Malerei ist regionale Küche ein identitätsstiftendes Kulturgut. Und nur als Kulturgut hat sie eine Daseinsberechtigung. Eine tragfähige Positionierung als Regionalküche erarbeitet sich ausschließlich, wer dieses kulturelle Erbe konsequent pflegt. Nicht, wer es als Bestandteil einer außer Kontrolle geratenen Karte führt. Klar, dafür muss man sich intensiv mit der historischen Bedeutung von Gerichten und deren Zubereitung auseinandersetzen. Müssen die Produkte aus der Region kommen? 

Nur, wenn sie aufgrund ihrer Herkunft besondere Charakteristika haben (schmeckt nur hier so) oder den Artenreichtum einer Region fördern (kulturelles Erbe). Beispiel gefällig? Die Idealbesetzung für das norddeutsche „Birnen, Bohnen, Speck“ sind die Kochbirne „Gute Graue“ (gibt es nur in Norddeutschland so) und die Perlbohne „Türkische Erbse“ (wächst auch woanders gut). Der geräucherte Speck braucht nicht aus einer Kate Schleswig Holsteins zu kommen. Sollte aber nicht zu exklusiv sein, Serrano oder Ähnliches wären fehl am Platz. Das Gericht ist traditionell ein einfaches Essen. Sie sind hier anderer Ansicht? Gerne, kein Problem. Wenn Sie Ihre Meinung zum Gerichtaufbau gut begründen können. Und zwar für alle Gerichte auf der Karte. Nur so entsteht ein regionales Restaurant mit Daseinsberechtigung. Das ist mühsam – keine Frage. Aber wenn es einfach wäre: Dann könnte es ja jeder.

Dietmar Spriwald
Ehemaliger Marketing-Direktor und Strategischer Planer bei British-American Tobacco. Nun Foodhunter und spezialisiert auf nachhaltige Lebensmittel. Berät seine Gastronomiekunden auch in Marketingfragen.

www.casagusta.de

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