Mit den Händen essen: In Indien Kultur – bei uns Doppelmoral
Hierzulande lernt man relativ früh, mit Besteck zu essen. Doch andere Länder, andere Sitten, wie man so schön sagt. Indien ist das beste Beispiel dafür: Dort isst man größtenteils mit den Händen. Doch was für Europäer womöglich als unhygienisch gilt, hat gute Gründe und seine Daseinsberechtigung. Und was für viele seltsam wirken mag, ist doch gar nicht so weit von unserer Esskultur entfernt, wie wir vielleicht denken.

Hierzulande lernt man relativ früh, mit Besteck zu essen. Doch andere Länder, andere Sitten, wie man so schön sagt. Indien ist das beste Beispiel dafür: Dort isst man größtenteils mit den Händen. Doch was für Europäer womöglich als unhygienisch gilt, hat gute Gründe und seine Daseinsberechtigung. Und was für viele seltsam wirken mag, ist doch gar nicht so weit von unserer Esskultur entfernt, wie wir vielleicht denken.

Essen mit den Fingern – aber mit klaren Regeln
Während man in Restaurants in Indien regulär mit Besteck isst, kommt es aber durchaus in privaten Kreisen vor, dass mit den Fingern gegessen wird. Doch auch hier muss man klare Regeln befolgen.
So wird zum Essen ausschließlich die rechte Hand verwendet – denn die linke wird als unrein angesehen. Diese Betrachtungsweise stammt aus einer Zeit, in der nach dem Toilettengang die linke Hand anstatt von Toilettenpapier benutzt wurde. Auch zum Weiterreichen von Schalen, Speisen oder Tellern gilt es, die rechte Hand zu verwenden.
Inder greifen das Essen meist nur mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Außerdem gilt nach dem Essen das geräuschlose Lecken der Finger als Zeichen von Wertschätzung – es zeigt, dass alles aufgegessen wurde – auch der kleinste Rest.
Bedenken, dass dieses Verhalten unhygienisch ist, braucht man absolut nicht zu haben – denn in Indien ist es auch üblich, sich sowohl vor als auch nach dem Essen die Hände gründlich zu waschen.
In manchen Restaurants, in denen man üblicherweise mit den Fingern isst, stehen in der Nähe der Tische Waschbecken. In anderen werden Schälchen mit warmem Wasser gereicht, in denen man die Hände waschen kann.

Der Grund für das Essen mit den Händen
Das Essen mit den Fingern ist tief in der indischen Kultur verwurzelt. Dahinter steht die Vorstellung, dass Nahrung mit allen Sinnen erfahren werden sollte: zuerst mit den Augen, dann mit den Händen und schließlich mit dem Mund.
Außerdem heißt es, die fünf Finger des Menschen entsprächen den fünf Elementen der Natur: Wasser, Feuer, Erde, Luft und Geist. Durch das Berühren der Speisen werde diese Lebensenergie auf das Essen übertragen, heißt es.
Die Berührung hilft zudem, Temperatur und Beschaffenheit besser wahrzunehmen. Viele Inder sind davon überzeugt, dass dieses bewusste Essen die Verdauung unterstützt und ein intensiveres Geschmackserlebnis ermöglicht.
Darum wird oft mit der Hand gegessen – aber eben ausschließlich mit der rechten.
Der Unterschied zu Fingerfood
Unser Blick auf das Essen mit den Händen ist oft widersprüchlich. Einerseits gilt es bei Tisch als unhöflich oder “ungepflegt”, die Finger zu benutzen – andererseits würden wir niemals auf die Idee kommen, einen Burger, Döner, Taco, Hotdog oder ein belegtes Brötchen mit Messer und Gabel zu essen. Unter dem Begriff Fingerfood ist das Essen mit den Händen längst gesellschaftlich akzeptiert – sogar normal und praktisch. Snacks und Streetfood leben davon, direkt mit den Fingern genommen zu werden.
Wenn man genauer hinschaut, merkt man schnell: Wir essen weit öfter mit den Händen, als wir denken. Ob Häppchen, Pommes, Pizza, Knabbergebäck oder Brot beim Abendessen – all das nehmen wir ganz selbstverständlich mit den Fingern zu uns. Es ist also nicht die Handlung selbst, die irritiert, sondern eher der kulturelle Kontext, in dem sie stattfindet.

Der Unterschied liegt weniger im Wie als im Wo: Während wir Fingerfood eher mit Freizeit, Informalität und Genuss verbinden, erwarten wir bei einer klassischen Mahlzeit automatisch Besteck. Doch diese Erwartung ist kulturell geprägt und keineswegs universell. In vielen Ländern ist das Essen mit den Händen genauso selbstverständlich wie bei uns Messer und Gabel.
Am Ende zeigt sich: Das Essen mit den Händen ist in Wirklichkeit kein fremdes Ritual, sondern Teil unseres Alltags – wir nennen es nur anders.