Beschnittene Konzepte

Seitdem auf Kebabbuden halal steht und am Wiener Naschmarkt koscheres Hummus verkauft wird, sind religiöse Speiseregeln bei uns Raum angekommen. Funktioniert religiöse Gastronomie?
Februar 26, 2016 | Text: Kathrin Löffel | Fotos: Florian Gleibs, Stefan Melzer, Martin Graf

eine provokative Marketing-Strategie

Essen ist Religion

Moralische Bekenntnisse bei der Nahrungsaufnahme sind nicht erst seit gestern auf dem Vormarsch. Immer mehr Menschen interessieren sich für alternative Ernährungsformen. Im deutschsprachigen Raum sind diese allerdings nicht auf Religionsbekenntnisse, sondern auf persönlich aufgestellte Regeln zurückzuführen. Die einen essen kein Fleisch, die anderen kein Fast Food und wieder andere verzichten auf Alkohol oder schlürfen dickflüssige Detox-Smoothies gemixt aus Bio-Grünzeug. Und für jede Vorliebe gibt es die passenden Lokale, Restaurants und Bars. Wenn aber Essensregeln aus der Religion geboren werden, bestimmte Speisen in ebendieser verboten sind oder unter religiösen Regeln hergestellt werden müssen, wird es für gläubige Mitmenschen schon schwieriger, ein entsprechendes gastronomisches Angebot zu finden. Der Anteil der Menschen im mitteleuropäischen Raum mit Religionen abseits des Christentums wächst. Innerhalb dieser Analyse stehen das Judentum und der Islam im Vordergrund, da besonders in diesen Religionen die Speiseregeln das tägliche Leben der Anhänger stark beeinflussen und sie – um ehrlich zu sein – die meisten Menschen mit christlicher Erziehung zum Staunen bringen. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum sich Küchen mit religiösem Hintergrund einfach gut verkaufen – auch bei Personen ohne ebendiesen Hintergrund.

Herkunftsanalyse

In Deutschland lebt rund ein Prozent der Bevölkerung mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis. Das ist eine sehr kleine Zielgruppe, wenn man nur diese ansprechen wollen würde. Elad und Esther Peri aus Düsseldorf wollten genau diese Gruppe ansprechen. Elad Peri ist Restaurantbesitzer und Gastronom, Esther Peri ist für das Marketing verantwortlich. Sie führten ein Jahr lang ein koscheres Restaurant, Die Kurve, danach stellten sie das Konzept auf „Koscher-Style“ um. Esther Peri: „Die Menschen, die orthodox jüdisch leben, gehören nun nicht mehr zu unseren Gästen. Aber das sind in Düsseldorf lediglich wenige Familien. Dafür kommen alle anderen zu uns. Egal mit welchem religiösen Hintergrund.“ Frische, für Europäer neue Konzepte lassen sich eben besonders gut bei der zu Unrecht verschrienen Zielgruppe der Hipster verkaufen. Zu diesen Konzepten gehört die israelische Küche definitiv. Es scheint, als wäre Koscher das neue Bio.

Göttliches Regelwerk oder kapitalschlagendes Konzept?

Essen ist Religion

Moralische Bekenntnisse bei der Nahrungsaufnahme sind nicht erst seit gestern auf dem Vormarsch. Immer mehr Menschen interessieren sich für alternative Ernährungsformen. Im deutschsprachigen Raum sind diese allerdings nicht auf Religionsbekenntnisse, sondern auf persönlich aufgestellte Regeln zurückzuführen. Die einen essen kein Fleisch, die anderen kein Fast Food und wieder andere verzichten auf Alkohol oder schlürfen dickflüssige Detox-Smoothies gemixt aus Bio-Grünzeug. Und für jede Vorliebe gibt es die passenden Lokale, Restaurants und Bars.
eine provokative Marketing-Strategie
Das Münchner Restaurant Schmock fährt eine provokative Marketing-Strategie. Das sorgt für Diskussionsstoff. Das Restaurant serviert israelische Speisen, distanziert sich aber von jüdischen Speiseregeln. 

Wenn aber Essensregeln aus der Religion geboren werden, bestimmte Speisen in ebendieser verboten sind oder unter religiösen Regeln hergestellt werden müssen, wird es für gläubige Mitmenschen schon schwieriger, ein entsprechendes gastronomisches Angebot zu finden. Der Anteil der Menschen im mitteleuropäischen Raum mit Religionen abseits des Christentums wächst. Innerhalb dieser Analyse stehen das Judentum und der Islam im Vordergrund, da besonders in diesen Religionen die Speiseregeln das tägliche Leben der Anhänger stark beeinflussen und sie – um ehrlich zu sein – die meisten Menschen mit christlicher Erziehung zum Staunen bringen. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum sich Küchen mit religiösem Hintergrund einfach gut verkaufen – auch bei Personen ohne ebendiesen Hintergrund.

Herkunftsanalyse

In Deutschland lebt rund ein Prozent der Bevölkerung mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis. Das ist eine sehr kleine Zielgruppe, wenn man nur diese ansprechen wollen würde. Elad und Esther Peri aus Düsseldorf wollten genau diese Gruppe ansprechen. Elad Peri ist Restaurantbesitzer und Gastronom, Esther Peri ist für das Marketing verantwortlich. Sie führten ein Jahr lang ein koscheres Restaurant, Die Kurve, danach stellten sie das Konzept auf „Koscher-Style“ um.
Esther Peri: „Die Menschen, die orthodox jüdisch leben, gehören nun nicht mehr zu unseren Gästen. Aber das sind in Düsseldorf lediglich wenige Familien. Dafür kommen alle anderen zu uns. Egal mit welchem religiösen Hintergrund.“ Frische, für Europäer neue Konzepte lassen sich eben besonders gut bei der zu Unrecht verschrienen Zielgruppe der Hipster verkaufen. Zu diesen Konzepten gehört die israelische Küche definitiv. Es scheint, als wäre Koscher das neue Bio.
Das Restaurant Schmock wirbt mit einer provokativen Werbung bezüglich Juden
Dass israelische Küche funktioniert, hat auch Gastronom Florian Gleibs mit dem Münchner Restaurant Schmock bewiesen: Das israelische Restaurant mit provokantem Marketing kommt an und erregt Aufsehen – auch ohne koscher oder koscher-style sein zu wollen. Mit ihren Plakaten sorgen sie für Diskussionen. Aber nicht unter Juden: „Juden können über sich selbst lachen. Das ist der gute jüdische Humor, von dem alle reden. Nach unserer Plakataktion, wozu auch das mit der Aufschrift ,Deutsche, esst bei Juden!‘ gehört, haben wir eine Podiumsdiskussion organisiert und wurden beschuldigt, auf dem Rücken von sechs Millionen getöteten Menschen Profit machen zu wollen. Nachdem eine jüdische Oma sagte, dass sie das nicht so empfindet, verstummten die Diskussionen.“

Marketing hin oder her, die israelische Küche auch ohne koschere Gesetze ist eine, die gut ankommt, auch wenn dann eben die kleine Gruppe der orthodoxen Juden nicht zur Klientel gehört. Die Gruppe der Muslime im deutschsprachigen Raum ist größer: Vier Millionen Menschen mit muslimischem Glauben leben in Deutschland. Tendenz steigend.
Daher ist es verständlich, dass immer mehr Produkte das Siegel der Zulässigkeit mit der Aufschrift „halal“ tragen. In regulären Supermärkten findet man gehäuft Süßigkeiten, Tütensuppen oder Schokoriegel mit dem Siegel. Das liegt nicht zuletzt daran, dass laut dem Global Islamic Economy Report Halal-Produkte ein weltweit wachsender und sehr lukrativer Markt sind. Da ist es verständlich, dass auch hiesige Lebensmittelproduzenten auf diesen Zug aufspringen. Bei den meisten Produkten ist durch den Verzicht auf Gelatine (oder einer ohne Schwein) das Produkt bereits halal. Beim Fleisch reagieren viele Verbraucher – ohne muslimische Religionszugehörigkeit – aber kritisch, da die Produktion – Stichwort: Schächten – besonders unter Tierschützern als No-Go gilt. Damit rückt die Umsetzung religiöser Speiseregeln im christlich geprägten deutschsprachigen Raum in den Fokus.

An der Umsetzung hapert’s

Spannend wird die Umsetzung, wenn wirklich alles nach Gottes Plan ablaufen soll. Denn es sind hier nicht mehr nur die Menschen, die entscheiden, ob es ihnen schmeckt oder nicht, sondern die religiösen Regeln, die zusätzlich eingehalten werden müssen.
Wir haben das Konzept unseres Restaurants Die Kurve aus wirtschaftlichen Gründen auf „Koscher-Style“ umgestellt.
Esther Peri über die Beweggründe der Umkonzeptionierung

Esther Peri hat genau aus diesem Grund ihr Restaurantkonzept nach einem Jahr ändern müssen: „Im Judentum gehören nicht nur die Lebensmittel zur Kaschrut, das sind die Speiseregeln der Thora, sondern auch die Einhaltung der Feiertage, des Schabbats, der vom Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit am folgenden Samstag dauert, oder die Trennung von milchigen und fleischigen Speisen. Diese Regeln werden regelmäßig von einem Rabbiner kontrolliert. Leider war es uns aus wirtschaftlicher Sicht nicht möglich, das Konzept weiter so strikt durchzuziehen. Dafür, dass wir jeden Freitag und Samstag schließen mussten, um den Schabbat einzuhalten, ist die orthodoxe Gruppe zu klein. Das ist in der Gastronomie, zumindest in Düsseldorf, nicht umsetzbar. Nun versuchen wir, so gut es geht, die Regeln zu beachten, akzeptieren aber auch, dass wir nicht mehr 100 Prozent koscher sein können.“
Die Umsetzung ist besonders bei dem Einkauf und der Rückverfolgung der Lebensmittel in beiden Religionen schwierig. Im Judentum gibt es viele Regeln, die es zu beachten gilt: An allen jüdischen Feiertagen – und davon gibt es viele – muss geschlossen sein, an jedem Produkt muss sich ein Jude beteiligen, Geld darf nicht angefasst werden, es sollten jüdische Kellner und Köche angestellt sein, die Tiere müssen auf koschere Art und Weise geschlachtet werden.

Beim Fleisch überschneiden sich das Judentum und der Islam. Das Schächten von Tieren ist auf das Verbot von Blutverzehr zurückzuführen. Dieses Verbot gilt in beiden Religionen. Und genau da setzen Tierschützer mit ihrer Kritik an, da die Tiere unbetäubt geschlachtet werden. Dabei werden die Luft- und Speiseröhre sowie die Halsschlagader mit einem Schnitt durchtrennt, das Tier soll im besten Fall nach einigen Sekunden tot sein und vollständig ausbluten. Wobei in muslimischen Kreisen diskutiert wird, dass Fleisch auch halal ist, wenn die Tiere vor dem tödlichen Schnitt betäubt werden.
Das Schlachten ohne Betäubung ist in Deutschland und Österreich verboten. In der Schweiz gibt es das Verbot nur bei Säugetieren, Geflügel darf ohne Betäubung geschlachtet werden. Daher beziehen Restaurants mit religiösen Speiseregeln ihr Fleisch meist aus dem Ausland, was wiederum legal ist. Denn selbst wenn Lebensmittelkonzerne beispielsweise zuvor betäubtes Halal-Fleisch anbieten, gehen die Wogen hoch. Ein multimedialer Shitstorm brachte zuletzt den großen Lebensmittelhändler Spar dazu, den in 25 Wiener Märkten getesteten Verkauf von – betäubt geschächtetem – Halal-Fleisch wieder aus dem Sortiment zu nehmen.
Die Facebook-Diskutanten machten keinen Unterschied zwischen betäubt und unbetäubt und ganz vielleicht schwang eine gewisse Fremdenfeindlichkeit bei den vermeintlichen Tierschützern auch noch mit. Allerdings ist die israelische Küche auch eine hauptsächlich vegetarische. Obst und Gemüse – außer die Würmer im Salat – sind immer koscher und auch halal. Speisen, die nicht ausdrücklich im Koran verboten sind, sind erlaubt und werden mit dem arabischen Wort für „zulässig“, also helal oder halal, deklariert.
Was ausdrücklich verboten ist, wird als haram bezeichnet. Grundsätzlich verboten sind den Muslimen Schweinefleisch, Alkohol und der Verzehr von Blut. Hält man sich daran, kann erst einmal nicht so viel schiefgehen. Man merkt: Die Speiseregeln der Juden sind umfassender und weisen viele Gastronomen mit koscheren Absichten in ihre Schranken. Ein Restaurant kann dem gegenüber – mit dem Import von Halal-Fleisch aus dem Ausland – relativ leicht die Speiseregeln des Islam einhalten.

In keiner anderen Branche sind die Vielfalt und Offenheit insgesamt so groß wie in der Gastronomie: Wenn also die Integration fremder Kulturen bei indischem, mediterranem oder asiatischem Essen funktioniert hat, wieso soll das nicht mit israelischer oder arabischer Küche genauso gehen? Auch wenn Gottes Plan nicht zu 100 Prozent auf den heutigen Speiseplan der Gastronomie zugeschnitten ist.

eine Kebabbude die mit Halal Fleisch Werbung macht

Und die Moral von dem Gericht

Will man sich mit einem religiösen Konzept selbständig machen, steht zuallererst die Marktanalyse an. Lohnt sich ein Nischenkonzept überhaupt? Welche Regeln gibt es? Was steckt dahinter?

Wie sieht die Zielgruppe aus?

In Deutschland leben ungefähr 100.000 Menschen mit jüdischer Religionszugehörigkeit und etwas über vier Millionen Menschen mit muslimischer Zugehörigkeit. Die Lebensmittelregeln sind so streng, dass die Zielgruppe auf das gastronomische Angebot angewiesen ist, wenn sie sich denn strikt an die Vorgaben hält.

Was ist koscher?

„Koscher“ bedeutet übersetzt so viel wie „rein“ oder „geeignet“. Dabei handelt es sich nicht nur um die Art der Lebensmittel, sondern auch um Regeln, die das Restaurant außerhalb des Einkaufs und die Herstellung beeinflussen und unter dem Begriff Kaschrut zusammengefasst sind. Orthodoxe Juden halten sich sehr strikt an diese Regeln, die beispielsweise auch die Öffnungszeiten von Restaurants betreffen.

Haben alle Religionen Speiseregeln?

Im Christentum sind die Regeln weniger streng. Bis auf den Verzicht von Fleisch am Freitag als Erinnerung an Karfreitag gibt es keine Regeln im Alltag. Viele Hindus sind Vegetarier, da sie an die Wiedergeburt – auch als Tier – glauben. Außerdem ist Rindfleisch strikt verboten. Buddhisten sollen lediglich ihren Hunger stillen und keine Lebensmittel verschwenden oder Tiere nur zum Essen schlachten.

Was bedeutet halal?

Das arabische Wort „halal“ oder „helal“ bedeutet „erlaubt“. Grundsätzlich gilt, dass alle Lebensmittel erlaubt sind, außer diese, die ausdrücklich im Koran und in der Sunna verboten sind. Alkohol und Schweinefleisch sind bei allen Gruppen innerhalb der Glaubensrichtung verboten und damit „haram“.

Was ist Schächten?

Obwohl sich die Speiseregeln unterscheiden, gibt es eine Gemeinsamkeit: das Schächten von „erlaubten“ Tieren. Das Schächten hat seinen Ursprung im Verbot des Verzehrs von Blut. Beim Schächten wird das Tier unbetäubt durch einen Schnitt in der Halshauptschlagader getötet und blutet vollständig aus. Juden sind sich einig, dass die Tiere vorher nicht betäubt werden dürfen, unter Moslems wird dieser Umstand stark diskutiert.

Warum kein Schwein?

In beiden Religionen ist Schweinefleisch verboten. Es gibt Theorien, dass die Speisegesetze auf den schnellen Verderb zu Zeiten mangelnder Hygiene zurückzuführen sind und daher einen rein gesundheitlichen Hintergrund haben. Das Verbot im Judentum könnte außerdem auf die Wirtschaftlichkeit zurückgehen: Da es nicht als Melk- oder Zugtier nutzbar ist, war es ökonomisch betrachtet nicht wertvoll.

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