Rolling Pin Talks: Christian Rach

Im neuen Podcast-Format ROLLING PIN Talks redet Christian Rach Tacheles. Der Branchenkenner erklärt, was die Gastronomie jetzt tun muss – und warum ein Neudenken unumgänglich ist.
Juni 20, 2020 | Text: Interview: Jürgen Pichler | Fotos: Fotos: Patrick Kirchberger

Alles, was er sagt, hat Hand und Fuß: Christian Rach war lange Zeit selbst Sternekoch und Gastronom. Und in seiner Fernsehsendung hat er unzählige Restaurants vor dem Ruin gerettet. Was die Branche jetzt tun muss, um wieder auf die Beine zu kommen? Ganz klar: Neues wagen! Das sagt Rach in einem Interview, das aufrütteln soll.

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Christian Rach nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Als Branchenkritiker, TV-Star und langjähriger Sternekoch rät er nun allen, schnell und konsequent zu handeln.

Hier geht’s zum ROLLING PIN-Podcast mit Sternekoch Christian Rach!

Christian, wann hast du realisiert, was auf uns zukommt?
Christian Rach: Anfang März bin ich für die ARD nach Südamerika geflogen und habe zwei Wochen lang eine kleine Dokumentation gedreht. Am Ende kamen plötzlich Meldungen und es hieß: Jetzt wird alles eng. Ich habe einen der letzten Flieger aus Rio bekommen. Und zwei Tage später: Lockdown.

Alles, was er sagt, hat Hand und Fuß: Christian Rach war lange Zeit selbst Sternekoch und Gastronom. Und in seiner Fernsehsendung hat er unzählige Restaurants vor dem Ruin gerettet. Was die Branche jetzt tun muss, um wieder auf die Beine zu kommen? Ganz klar: Neues wagen! Das sagt Rach in einem Interview, das aufrütteln soll.

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Christian Rach nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Als Branchenkritiker, TV-Star und langjähriger Sternekoch rät er nun allen, schnell und konsequent zu handeln.

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Christian, wann hast du realisiert, was auf uns zukommt?
Christian Rach: Anfang März bin ich für die ARD nach Südamerika geflogen und habe zwei Wochen lang eine kleine Dokumentation gedreht. Am Ende kamen plötzlich Meldungen und es hieß: Jetzt wird alles eng. Ich habe einen der letzten Flieger aus Rio bekommen. Und zwei Tage später: Lockdown.

Wie findest du die getroffenen Maßnahmen der Regierung?
Rach: Ich glaube, dass sowohl in Österreich als auch in Deutschland souverän und konsequent gehandelt wurde. Das hat uns in den beiden Ländern die verheerenden Ausmaße, wie wir sie aus Italien oder Spanien kennen, erspart. Natürlich gibt es sehr starke Auswirkungen, aber vom Gesundheitssystem her haben die beiden Regierungen großartig reagiert. Was ich aber sagen muss, ist, dass mir immer ein bisschen die Perspektive gefehlt hat. Über Szenarien, wie es irgendwann weitergeht, haben wir viel zu spät gesprochen.

Wie siehst du die Förderungen, die jetzt für die Gastronomie angedacht sind?
Rach: Ich habe als Kind immer gerne Puzzle gespielt. Und beim Puzzeln ist es so, dass man immer eine große Vorlage hatte und dann musste man aus Tausenden Teilen ein Bild zusammensetzen. Jetzt sind wir in einem Bereich, wo wir ein Puzzle haben, für das es keine Vorlage gibt.

Jetzt gibt es die Situation, dass wir wieder aufsperren dürfen. Was wäre eine Forderung, mit der die Regierung einen durchschnittlichen Gastronomen wirklich unterstützen kann?
Rach: Die große Frage ist, was nun insgesamt passieren muss. Was Gastronomen jetzt aber wirklich lernen sollten, ist, das Angebot zu reduzieren. Wenn man jetzt so weitermacht, wie man es bis zu dem Tag, an dem man zusperren musste, gemacht hat, dann haben wir ein Riesenproblem. Die großen Wein- und Getränkekarten, diverse Gerichte, das muss vorbei sein. Das heißt, der Gastronom muss versuchen, mit 50 Prozent – wenn er sie denn erreicht – klarzukommen. Und das geht zunächst über den Wareneinsatz und leider auch über die Personalsituation.

Gastronomen sollten lernen, Ihr Angebot zu reduzieren.
Klasse statt Masse, rät Christian Rach

Jetzt müssen wir aber davon ausgehen, dass der Gast nicht bereit ist, 30 bis 50 Prozent mehr zu bezahlen. Wie muss ich da als Gast­ro­nom herangehen?
Rach: Wenn wir eine Preisveränderung machen – wofür ich absolut plädiere –, müssen wir eine Transparenz herstellen. Wir müssen lernen, den Gast dahin zu bekommen, dass er Qualität wertschätzt. Dafür sollte der Gastronom eine Beispielrechnung hinten in seiner Speisekarte anhängen und erklären, was alles zu einem Wiener Schnitzel gehört, wie sich denn ein Preis zusammensetzt. Nur habe ich leider die Befürchtung, dass viele Kollegen das bis ins letzte Detail überhaupt nicht können. Deswegen sollten sie sich da einen fähigen Beistand nehmen, der alle möglichen Kosten – von der Miete bis zu den Versicherungen über die Genossenschaften bis zu Strom und Wasser – transparent macht.

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Christian Rach spricht im neuen ROLLING PIN-Podcast Tacheles.

Wenn ich als Gastronom dir sagen würde, dass ich meinen Laden eins zu eins wieder aufsperre: Was würdest du mir raten?
Rach: Wir sollten uns alle mal selbst reflektieren. Wir haben ja zwei Kategorien. Wenn das Geschäft mehr schlecht als recht lief, sollte man erst recht hinterfragen. Wenn das Geschäft gut lief, haben viele leider die Angewohnheit, sich zurückzulehnen. Aber in vielen Gebieten gibt es Kollateralschäden – etwa mit Mitarbeitern oder Lieferanten. Ich nenne da immer meine vier W-Fragen, bevor es überhaupt losgeht: Was kann ich wirklich? Was will ich mit dem, was ich kann, machen? Wo will ich das machen? Mit wem möchte ich das machen? Und dann würde ich heute sogar noch ein fünftes W hinzufügen: Wie lange möchte ich das, was ich kann, machen? Das betrifft nicht nur mich persönlich, sondern auch meine Mitarbeiter. Ein Arbeitgeber, der für Mitarbeiter attraktiv ist, ist auch attraktiv für Gäste. Denn die spüren das eins zu eins.

Ich glaube, dass wir digital um Jahre nach vorne versetzt worden sind. Ist das nicht auch eine Chance für die Gastronomie?
Rach: Digitalisierung ist in der Gastro-Branche für viele noch ein absolutes Fremdwort und noch in den Kinderschuhen steckt. Die meisten glauben, dass man digital ist, wenn man ein Online-Reservierungssystem anbietet. Aber wir müssen die Früchte der Digitalisierung auch in der Gastronomie nutzen. Die Warenhaltung, die Buchhaltung, die Bestellsituation, die Nachhaltigkeitssituation, die Liefersituation, die Kühlschranksituation, das geht ja bis zur Energiesituation: Wir müssen all das – steuerlich natürlich auch – digital begreifen. Wenn ich nämlich auf diese einfachen, digitalen Systeme zurückgreife, habe ich auch als Arbeitnehmer wieder viel mehr Zeit, mich um das Wesentliche zu kümmern: den Gast.

Gastronomie zu leben, ist eines der schönsten Dinge der Welt.
Christian Rach plädiert für die Gastronomie als Gesamterlebnis

Ich glaube, dass sich da für Gastronomen nach der Krise komplett neue Chancen auftun. Man muss nur kreativ genug sein, das auch gut mitzunehmen. Wie siehst du das?
Rach: Wenn zum Beispiel der Lieferservice eine Chance sein soll, muss ich überlegen: Wie kriege ich mein Angebot in eine Kiste? Wir haben ja heute gastronomische Angebote, die so hochkompliziert sind, dass sie eben nicht mehr in eine Kiste passen. Dann ist natürlich die Frage: Ist das sinnvoll? Oder sollten wir zu einer Einfachheit zurückkommen? Das heißt, das sind Möglichkeiten, auf die man sich spezialisieren kann – und auch sollte –, wenn man es logistisch hinbekommt. Ich warne aber davor, das zu groß aufzuhängen. Weil Gastronomie als Gastgeber zu leben, gemeinsam mit Leuten in einem Restaurant zu sitzen und die Atmosphäre zu spüren, ist eines der schönsten Dinge der Welt.

Genau, es geht um das Erlebnis. Nun dürfen wir endlich wieder öffnen. Dafür gibt es aber natürlich gewisse Voraussetzungen und Sicherheitsvorschriften. Hast du eine Empfehlung für Gastronomen, wie sie sich dem spielerisch nähern können?
Rach: Das ist natürlich die Gretchenfrage, die wir gerade vor uns haben. Und es gibt vermutlich keine Blaupause mit fünf Faktoren, die man definiert, und sagt: Damit schaffe ich jetzt eine Stimmung, die auch angemessen ist. Ich glaube, als Gastronom sollte man noch mehr auf Atmosphäre achten – das heißt noch mehr darauf achten, dass alles stimmt. Wenn der Laden jetzt nur zur Hälfte gefüllt sein darf und Servicemitarbeiter mit Masken herumlaufen, wodurch Gäste keine Gesichtsregung sehen, und ich vielleicht auch nicht die Hände meines Gegenübers berühren darf, ist es wirklich schwer. Das heißt, ich muss für gute Atmosphäre sorgen: Licht, Musik, vielleicht Kerzen, vielleicht nette Dekoration. Es sollte dezent und stimmungsmäßig absolut zum jeweiligen Ambiente passen. Stimmung wird das A und O sein.

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Die Ratschläge des Herrn Christian Rach sind in aller Gastronomen Munde: Wie ein Konzept erfolgreich werden kann, damit beschäftigt sich der Experte seit Jahren.

Wenn jemand in dieser Situation einen Betrieb aufsperren möchte: Was würdest du ihm raten?
Rach: Zuallererst würde ich mir diese vier W-Fragen selbst stellen, vor allen Dingen auch die Standortfrage. Wo ich bin, ist absolut entscheidend – und auch: Welche Angebote gibt es um mich herum? Und dann würde ich auf alle Fälle versuchen, mein Angebot so klein wie möglich zu halten, aber auch so originell wie möglich. Ich predige damit nicht nur neue Regionalität, sondern sage: Wir sollten uns mit Produkten abgrenzen. Mach ein kleines Angebot, serviere bitte nur die Dinge, die du kannst, und das am besten aus Produkten aus deinem Land. Dabei würde ich auch den Preis vom Produkt abhängig machen – und nicht vom Nachbarn.

Es geht nicht um Hauben oder Sterne, sondern darum, eine Identität herzustellen.
Authentizität steht für Christian Rach ganz oben auf der Gastro-Prioritätenliste

Das heißt, wir haben aktuell eine Chance, mehr vom Gast zu bekommen. Eigentlich muss man seine Karten neu definieren – oder zumindest kreativer gestalten.
Rach: Kochen findet im Kopf statt. Das ist das, was ich immer sage: Liebe Leute, benutzt euren Kopf! Setzt den ein, seht nicht nur in ein Buch, seid selber Vorbild, seid selber Original. Wenn ich eine Currywurst mache, die nicht am Imbiss an der Straße ist, warum gebe ich nicht ein wunderbares Rezept zum Metzger und bestimme selbst, wie die Wurst zu sein hat? Warum mache ich die Currysauce nicht selbst in verschiedenen Varianten? Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten, die man kreativ umsetzen kann. Es geht nicht um Hauben oder Sterne, es geht nur darum, eine Identität herzustellen. Und eine Identität wird vom Gast natürlich auch gewürdigt.

In der heutigen Zeit ist das noch viel notwendiger geworden: Viele Leute suchen Inspiration, Antworten und eine Richtung, in die sie sich bewegen müssen.
Rach: Ja, vor allem wir müssen den Leuten im positiven Sinne in den Hintern treten. Man könnte gemeinsam eine Plattform schaffen, mit der man Betriebe vernetzt. Es schadet auch keinem Mitarbeiter, wenn er sich ums Englische oder das Französische kümmert. Das sind wunderbare Dinge – und ich gebe Brief und Siegel, dass jene Leute, die sich so aufstellen, von jedem Arbeitgeber auch mit Kusshand genommen werden.

Nun ist die Kapitaldecke vieler Gastronomen dünn gesät. Jetzt kann es natürlich sein, dass einige Betriebe in Insolvenz gehen. Was kann man betroffenen Unternehmern mit auf den Weg geben?
Rach: Vielleicht gibt uns diese Situation die Möglichkeit, das Stigma der Insolvenz abzuschütteln. Wir sollten den Menschen, die es jetzt nicht schaffen, die Chance geben, dass sie sich neu aufstellen können. Denn viel wichtiger, als insolvent zu gehen, ist es, danach wieder aufzustehen.

www.christianrach.de

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