Marco Müller: Stille Rebellion im Rutz

Marco Müller gehört wohl zu den Besessensten unter den Produktfanatikern. Im Rutz definiert der Sternekoch den Regionalitätsgedanken neu: mit eigenen Anbauplänen und eigener Fischzucht.
August 2, 2019 | Text: Alexandra Polic | Fotos: Raphael Gabauer, Ricarda Spiegel

So ruhig wie Marco Müller seinen Menüplan studiert, fällt es fast schon schwer zu glauben, dass sich darin etwas verbirgt, das einst eine Revolution war. Denn der Produktfanatismus des Sternekochs ist dermaßen radikal, dass er seit Jahren eigene Anbaupläne mit regionalen Bauern entwickelt, eigene Fischteiche pachtet. 15 Jahre lang lässt er im Berliner Sternerestaurant Rutz seiner Kreativität freien Lauf. „Es gibt Labortests mit Saatgut und Fermentationsprojekte im Keller“, sagt er. Dabei hat alles ganz harmlos angefangen.

Marco Müller

Marco Müller wollte immer schon alles perfekt machen. Nur Koch wollte er nicht immer werden. Ein unfreiwilliger Schulabbruch ändert die Situation. Eine Kochlehre und ein Sterne-Praktikum später steht fest: In der Küche zu stehen, ist ihm zwar nicht genug, aber sein gesamtes Schaffen darin zu einem Ganzen zu vereinen, das könnte es sein. Und das war es: Erst kamen Stationen im Kempinski und im Intercontinental, später wird Müller Küchenchef im Harlekin und im Windspiel. Seit 2004 dirigiert er das Küchengeschehen des Rutz – und revolutioniert dort mit seinen Regionalitätsgedanken die deutsche Esskultur.

 

Ein Freigeist sondergleichen

„Ich habe als Kind schon gerne gekocht und Dinge perfektioniert“, sagt Müller. Er wächst mit seinen Eltern und seinen Großeltern in Potsdam, in der DDR, auf. Die DDR: ein Ort mit wenig Platz für Kreativität. Müllers Heim: ein Künstlerhaushalt. Es sei viel philosophiert, viel über Politik geredet worden. Ihr Gemüse baut die Familie im eigenen Garten an. „Aber Koch zu werden, wäre mir damals trotzdem nie in den Sinn gekommen“, erinnert sich der heute 49-Jährige.

Trotzdem kam in Müllers Leben wohl wirklich alles so, wie es kommen musste. „Wegen meiner Offenheit, oder vielleicht auch der meiner Eltern, wurde ich nicht zum Abitur zugelassen“, erzählt einer, der sich offenbar schon einmal im Rebellieren übte.

So ruhig wie Marco Müller seinen Menüplan studiert, fällt es fast schon schwer zu glauben, dass sich darin etwas verbirgt, das einst eine Revolution war. Denn der Produktfanatismus des Sternekochs ist dermaßen radikal, dass er seit Jahren eigene Anbaupläne mit regionalen Bauern entwickelt, eigene Fischteiche pachtet. 15 Jahre lang lässt er im Berliner Sternerestaurant Rutz seiner Kreativität freien Lauf. „Es gibt Labortests mit Saatgut und Fermentationsprojekte im Keller“, sagt er. Dabei hat alles ganz harmlos angefangen.

Marco Müller

Marco Müller wollte immer schon alles perfekt machen. Nur Koch wollte er nicht immer werden. Ein unfreiwilliger Schulabbruch ändert die Situation. Eine Kochlehre und ein Sterne-Praktikum später steht fest: In der Küche zu stehen, ist ihm zwar nicht genug, aber sein gesamtes Schaffen darin zu einem Ganzen zu vereinen, das könnte es sein. Und das war es: Erst kamen Stationen im Kempinski und im Intercontinental, später wird Müller Küchenchef im Harlekin und im Windspiel. Seit 2004 dirigiert er das Küchengeschehen des Rutz – und revolutioniert dort mit seinen Regionalitätsgedanken die deutsche Esskultur.

 

Ein Freigeist sondergleichen

„Ich habe als Kind schon gerne gekocht und Dinge perfektioniert“, sagt Müller. Er wächst mit seinen Eltern und seinen Großeltern in Potsdam, in der DDR, auf. Die DDR: ein Ort mit wenig Platz für Kreativität. Müllers Heim: ein Künstlerhaushalt. Es sei viel philosophiert, viel über Politik geredet worden. Ihr Gemüse baut die Familie im eigenen Garten an. „Aber Koch zu werden, wäre mir damals trotzdem nie in den Sinn gekommen“, erinnert sich der heute 49-Jährige.

Trotzdem kam in Müllers Leben wohl wirklich alles so, wie es kommen musste. „Wegen meiner Offenheit, oder vielleicht auch der meiner Eltern, wurde ich nicht zum Abitur zugelassen“, erzählt einer, der sich offenbar schon einmal im Rebellieren übte. Der Traum vom Studium ist damit Geschichte. Die Eltern wollen, dass der Sohn eine ordentliche Ausbildung macht. Aber der weiß nicht so recht, wohin es ihn zieht.

Konsequent lehnt er alle Vorschläge ab – bis ihm eines Tages ein Freund seines Bruders auf die Idee bringt, das Kochen zu lernen. „Das war das Erste, zu dem ich nicht sofort Nein gesagt habe“, sagt Müller und lacht. Seine Begeisterung ist seitdem ein wenig gewachsen. Die der Kritiker auch: Drei Michelin-Sterne und 17 Punkte im Gault Millau prämieren das Rutz: das Resultat von 15 Jahren Schaffen, Sturm und Drang. „Wir wurden lange Zeit als Spinner bezeichnet“, sagt der Querdenker.

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Genie auf Umwegen: Marco Müller wollte immer schon alles perfekt machen. Nur Koch wollte er nicht immer werden. Das änderte sich.

Pionierarbeit im Rutz

Seine Kochlehre absolviert er in einem Potsdamer Restaurant. Aber Müller merkt früh, dass er mehr will. Mit Anfang 20 macht er sein erstes Praktikum in einem Sternerestaurant. Immer mehr will er sehen von den Küchen des Landes. Immer mehr will er lernen von Köchen, die ihre ganz eigene Handschrift haben. Die entwickelt auch Müller selbst sehr schnell. Das Besondere: Die seine ist von Regionalität geprägt und reicht weit über das Küchengeschehen hinaus.

Wir wurden lange Zeit als Spinner bezeichnet.
Marco Müller zog das Los des Vorreiters

Seit 2004 ist zwar die Küche des Rutz der Mittelpunkt seines kulinarischen Lebens. Aber für Müller ist die Verarbeitung der Produkte erst der zweite Schritt. Der Prozess beginnt im Wald, auf Feldern und in Teichen. Weil er mit den Produkten vom Großhandel meist unzufrieden ist – „da kommt oft nur Murks“ –, beginnt Müller, die Herstellung und Zucht seiner Zutaten maßgeblich zu begleiten.

Mittlerweile arbeitet das Rutz schon seit Jahren eng mit Bauern, Landwirten und Fischzüchtern zusammen. Müller und sein Team erstellen Bepflanzungspläne, lassen verschiedene Sorten von Gemüse in ihrem Küchenlabor testen. „Wenn heute jemand sagt, dass ihm Rote Bete nicht schmeckt, dann weiß der das eigentlich gar nicht. Es gibt 100 verschiedene Sorten von Roter Bete, aber er hat wahrscheinlich nur eine probiert“, sagt der Küchendirektor. Aktuell arbeitet er etwa an Salatsorten, die man überwintern kann – damit das Gemüse auch während der kalten Jahreszeit frisch vom eigenen Feld kommt.

Seinen Kreationen liegen aber nicht nur herkömmliche Zutaten zugrunde. „Wir können in unseren Breitengraden fast alles essen. Wir müssen nur anfangen, uns zu überlegen, was wir mit all den Produkten anstellen können“, erklärt Müller. Sein Leit- und Glaubenssatz: „Was riecht, kann auch schmecken.“ Seine Küchencrew hat es sich deswegen zur Aufgabe gemacht, herauszufinden, wie man diese Geschmäcke extrahieren kann. Dafür machen sie sich „jegliche Gar- und Fermentationsmethoden“ zu eigen.

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Taube auf Rebholz gegrillt | Blutcreme | Buchenpilz | Schwarze Johannisbeere

Bei Fisch geht Müller ähnlich vor: Für das Rutz lässt er eigens zwei Teiche halten. Fische, die dort auf dem Teller landen, schwammen nur wenige Stunden davor noch im Wasser, das der Küchenchef ebenfalls prüfen lässt. „Wenn ich einem Koch in Italien sage, dass wir hier frischen Fisch haben, fragt der, was das Besondere daran ist. Aber ich weiß, wie die Spree vor 40 Jahren ausgesehen hat, und daraus will ich keinen Fisch essen“, sagt der Wahl-Berliner.

Ich weiß, wie die Spree vor 40 Jahren ausgesehen hat, und daraus will ich nichts essen.
Marco Müller setzt lieber auf Eigenproduktion

Wichtig sind ihm frische Ernte und kurze Wege. Ob es auch Produkte gibt, die er importiert? „In erster Linie geht es uns um Qualität“, sagt Müller, „ein gutes Olivenöl beispielsweise würde ich schon importieren – aber aus Italien und nicht aus Argentinien.“ Bei Produkten wie Kaffee, die aus weiter entfernten Ländern kommen, achtet das Rutz penibel genau darauf, wie und wo sie hergestellt werden, und dass sie den Händlern zu fairen Preisen abgekauft werden.

Spannung pur

„Die Produkte zu beschaffen und herzustellen, ist aber eigentlich nur der Anfang“, erklärt der Küchenchef. Denn auch für die Veredelung seiner Zutaten lässt sich Müller so einiges einfallen. Vor Kurzem haben er und „seine Jungs“ Honig im Wald unter der Erde vergraben. „Den kann man in Erdlöchern fermentieren lassen“, löst er das Rätsel auf.

Fast ein wenig aufgeregt wirkt er, wenn er von seinen Produkten spricht. „Das ist alles so spannend, dass es auch nach 15 Jahren noch nicht langweilig ist.“ Es klingt ganz so, als würde er auch weiterhin für mehr Radikalität und mehr Kompromisslosigkeit kämpfen – zumindest, was die Produktqualität betrifft. Der Rest seines Wesens scheint etwas ruhiger geworden zu sein.

HIER geht’s zum Rezept für Marco Müllers einzigartige Taubenkreation!

www.rutz-restaurant.de

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