Wie der Phoenix aus der Asche! Welche Spuren der „Weinskandal“ hinterließ

Vor genau 40 Jahren flog die Mutter aller Lebensmittelskandale auf: der Wein-Skandal. Doch was damals für das Ende des ­österreichischen Weinbaus gehalten wurde, entpuppt sich heute als Wein-Wunder. Aber warum eigentlich?
September 10, 2025 | Text: Johannes Stühlinger | Fotos: Lukas Robausch made with AI

Auf den ersten Blick war der 21. Dezember 1984 in Wien ein ganz normaler Vorweihnachtstag. Der Himmel bewölkt, die Temperatur knapp über null Grad. Nicht so für die Beamten der landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalt in Wien. Plötzlich betrat ein unscheinbar gekleideter Mann die Amtsstube, stellte eine Flasche mit einer wasserhellen, sirupartigen Flüssigkeit auf den Tisch und sagte trocken: „Das verwendet die österreichische Weinfälscherszene!“

Bis heute weiß niemand, wer der Mann war, doch sein Hinweis brachte die Sache ins Rollen. Nach einer Woche stand die chemische Zusammensetzung des Mittels fest: Es war Diethylenglykol.

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KI-BILD

Auf den ersten Blick war der 21. Dezember 1984 in Wien ein ganz normaler Vorweihnachtstag. Der Himmel bewölkt, die Temperatur knapp über null Grad. Nicht so für die Beamten der landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalt in Wien. Plötzlich betrat ein unscheinbar gekleideter Mann die Amtsstube, stellte eine Flasche mit einer wasserhellen, sirupartigen Flüssigkeit auf den Tisch und sagte trocken: „Das verwendet die österreichische Weinfälscherszene!“

Bis heute weiß niemand, wer der Mann war, doch sein Hinweis brachte die Sache ins Rollen. Nach einer Woche stand die chemische Zusammensetzung des Mittels fest: Es war Diethylenglykol.

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„Wäre der Weinskandal nicht gewesen, wären österreichische Weine heute nicht auf den Karten von NOMA und Co.“
Winzer und DAC-Obmann Hans Michael Nittnaus sieht die Vorteile, die aus der Krise erwachsen sind.

Der Anfang vom Ende

Um die Tragweite dieses Laborergebnisses zu verstehen, muss man allerdings in der Geschichte des ­österreichischen Weinbaus einige Jahre zurückspulen. Nach der Massenproduktion der 1970er-Jahre und dem Preisverfall österreichischer Qualitätsweine hegten die staatlichen Kellereiinspektoren schon lange vage Verdachtsmomente. So viel Prädikatswein konnte auf natürliche Weise gar nicht erzeugt werden.

Doch Anträge auf Hausdurchsuchungen bei verdächtigen Weinhändlern wurden vom Gericht regelmäßig als unverhältnismäßig zurückgewiesen, und chemisch war einfach nichts zu finden, erinnert sich Walter Brüders, der damals als Kellereiinspektor im Burgenland eingesetzt war. Das änderte sich mit besagter Weinprobe schlagartig. Es folgte eine Kaskade an einschneidenden Ereignissen – für Weintrinker, vor allem aber für die Produzenten: Am 23. April 1985 trat Landwirtschaftsminister Günter Haiden (SPÖ) erstmals vor die österreichische Öffentlichkeit und bestätigte den aufkeimenden Glykolskandal.

„Jeder kannte einen Winzer, der entweder zusperren musste oder sogar selbst eingesperrt wurde.“
Sommelier-Legende Gerhard Retter war erst 14 Jahre alt, erinnert sich aber noch sehr lebhaft an den Weinskandal.

Rasch war klar, dass die Affäre nicht auf Österreich beschränkt bleiben würde – zu groß waren die Exportmengen in den wichtigsten Auslandsmarkt Deutschland. Bereits wenige Wochen später zeigte sich, dass beträchtliche Mengen der manipulierten Weine in die Bundesrepublik gelangt waren. Allein im ersten Halbjahr 1985 importierte Deutschland rund 147.000 Hektoliter österreichischen Wein. Damit rückten insbesondere einige große Importeure aus Rheinland-Pfalz schnell in den Fokus der Ermittlungen. Die mediale Dynamik verstärkte die gesellschaftliche Verunsicherung erheblich. Besonders die Boulevardpresse trug mit reißerischen Schlagzeilen zur Eskalation bei. Ein markantes Beispiel war die Titelgeschichte der Bild-Zeitung vom 12. Juli 1985: „Frostschutzwein bei Omas Geburtstag – 11 vergiftet“.

Zwar stellte sich diese Meldung später als haltlos heraus, doch sie ver­schärfte den Imageschaden und heizte die wirtschaftlichen Folgen weiter an. Kurz gesagt: Glykol war 1985 in aller Munde und wurde in Deutschland sogar zum „Wort des Jahres“ gewählt.

Der Absatz österreichischer Weine brach binnen weniger Tage um 90 Prozent ein, Winzer wurden verhaftet, andere völlig ohne Schuld mit in den Abgrund gerissen.

Welche Wirkung hatte das Gift?

Rückblickend lässt sich festhalten, dass es im Rahmen des Frostschutzmittel-Skandals weder Tote noch Verletzte gab. Faktum aber ist, dass Konsumenten gepanschter Weine über heftige Kater und Beschwerden am Tag nach dem Genuss klagten. Das war den Panschern bewusst, doch der eigene Profit war wichtiger. Und damit sind wir bei der Wurzel allen Übels – dem Grund, warum eine Handvoll Winzer aus dem Burgenland zum Frostschutzmittel griff.

Der wahre Grund der Panscher

Schon seit den 1960er-Jahren sank der Weinkonsum in Österreich spürbar, doch Politik und Verbände hielten am Ziel wachsender Absatzmengen fest. Infolge entstanden massive Überproduktionen von Massenwein, deren Marktwert stetig verfiel. Gleichzeitig florierte im Export, vor allem nach Deutschland, die Nachfrage nach edelsüßen Prädikatsweinen – ein Segment, das hohe Preise versprach, aber nur begrenzt erzeugt werden konnte.

Um diese Nachfrage zu bedienen, griffen einzelne Winzer zu illegalen Methoden: Billige Tafelweine wurden mit Diethylenglykol versetzt, einer süßlich schmeckenden Chemikalie, die Extraktwerte erhöhte und einfachen Wein sensorisch zu „veredeln“ schien.

Damit nicht genug, wurde teilweise sogar gänzlich künstlicher Wein hergestellt (siehe Rezept aus den Polizeiprotokollen rechts). Die fachliche Unkenntnis vieler Importeure und das geringe Bewusstsein der Konsumenten erleichterten den Betrug zusätzlich. Bereits ab Ende der 1970er-Jahre wurde so in größerem Stil manipuliert – bis der Skandal aufflog und die Weinwelt erschütterte.

Der Nachbar im Kerker

„Bei uns im Wirtshaus in der Steiermark war die Story damals in aller Munde“, erzählt die heutige Sommelier-Legende Gerhard Retter. Trotz seiner damaligen Jugend – er war 14 Jahre alt – ist ihm die Tragödie noch sehr gut in Erinnerung geblieben. Schließlich kannte jeder Weinbauern, die plötzlich auf ihren Produkten sitzenblieben, Konkurs anmeldeten oder sogar im Gefängnis landeten.

Doch was damals für viele als „das ultimative Ende“ galt, nahm bald eine überraschende Wendung, wie Retter erläutert: „Tatsache ist, dass wir heute in Österreich das härteste und strengste Weingesetz Europas haben. Das gibt es nur, weil damals allen klar war: Man muss doppelt so gut wie der Rest sein, um wieder auf die Beine zu kommen.“ Dieser Zwang zur Qualität führte zu einem tiefgreifenden Strukturwandel.

Österreich entwickelte sich von einem Massenweinexporteur zu einem anerkannten Produzenten hochwertiger, gebietstypischer Weine – insbesondere Grüner Veltliner, Zweigelt, Riesling und Blaufränkisch. Und: Die großen Betriebe verschwanden, viele kleine entstanden.

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KI-BILD: Plötzlich traute niemand mehr dem Weinhändler seines bisherigen Vertrauens. Also versuchte man es mit verzweifelten Versprechungen.

Phönix aus der Asche

Einer davon: das Weingut Gebrüder Nittnaus im burgenländischen Gols. „Meine Eltern haben genau in dieser Zeit beschlossen, auf Wein zu setzen“, erzählt Hans Michael Nittnaus, heute einer der beiden Söhne, die inzwischen am Ruder sind.

Er ist gleichzeitig Obmann der Herkunftsregion Neusiedlersee DAC und damit nach wie vor eng mit dem einstigen Wein­skandal verbunden: Das DAC-System wurde als Reaktion auf den Skandal mit dem Ziel geschaffen, Herkunft und Typizität klarer zu definieren. So sollte Qualität für Fachleute, Weintrinker und die internationale Weinwelt nachvollziehbar werden.

Nittnaus selbst ist überzeugt, dass ohne den Weinskandal seine Weine – und die seiner Kollegen – heute nicht auf den Weinkarten von Spitzenrestaurants wie Noma, Steirereck und Co. stünden. Außerdem habe sich aus der Krise ein Zusammenhalt entwickelt, der vorher nicht gegeben war, ergänzte Retter.

Schlussendlich aber, da sind sich beide einig, wenn sie sagen: „Wir sind der Phönix aus der Asche“, sagt er schmunzelnd. Bleibt nur zu hoffen, dass dieser nicht eines Tages der Sonne zu nahe kommt.

Das Rezept für 22.000 Liter Pansch-Wein:   

  • 18.000 l Wasser
  • 5500 kg Zucker
  • 80 kg Diethylenglykol
  • 80 kg Trockensirup
  • 80 kg Weinsäure
  • 30 kg Hirschhornsalz
  • 40-50 l Glyzerin
  • 3 kg Apfelsäure
  • 15 kg Bittersalz
  • 40 kg Pottasche
  • 40 kg Weinsäure
  • Die Menge der notwendigen Hefe richtet sich nach der Witterung.

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